Der Koalitionsvertrag 2025 trägt den Titel „Verantwortung für Deutschland“ – ein Versprechen, das gerade im Alltag der Verbraucher*innen spürbar werden muss. Doch wie viel Verantwortung übernimmt Schwarz-Rot tatsächlich für die Bedürfnisse der Verbraucher*innen?
Zu loben ist das Bekenntnis zum differenzierten Verbraucherleitbild, das unterschiedliche Bedürfnisse anerkennt – ein Paradigmenwechsel weg vom überholten Bild des „mündigen Verbrauchers“.
Die Fortführung desDeutschlandtickets ist vielleicht der wichtigste konkret erwähnte Schritt zur Entlastung der Haushalte und zur Sicherstellung bezahlbarer Mobilität. Doch schon kurz nach Vertragsvorstellung wirft Friedrich Merz in einer Talkshow Zweifel an der Finanzierung des Tickets auf – ein fatales Signal für den Verbraucherschutz.
Zudem sind die konkret erwähnten geplanten Maßnahmen zur Regulierung des Ticketzweitmarktes, die darauf abzielen, Wucherpreise und betrügerische Praktiken bei Kultur- und Sportveranstaltungen einzudämmen, positiv zu bewerten und ein Punkt, der viele Menschen im Alltag tatsächlich betrifft.
Neben den überschaubaren Lichtblicken bleibt der Koalitionsvertrag sonst jedoch hinter seinem eigenen Anspruch zurück: Ausgerechnet in den Bereichen, in denen Verbraucher*innen heute besonders gefährdet sind, klaffen gravierende Schutzlücken. So fehlen klare Regeln gegen gefährliche Produkte auf Online-Marktplätzen oder unseriöse Haustürgeschäfte – Situationen, in denen Verbraucher*innen besonders überrumpelt werden. Auch im finanziellen Verbraucherschutz bleibt der Vertrag blass. Hier hagelt es lediglich Prüfaufträge für längst bekannte Baustellen: Überhöhte Basiskontenentgelte und Dispozinsen, Fehlanreize in der Finanzberatung sowie die dringend erforderliche Regulierung von Kryptowerten und des Grauen Kapitalmarkts. Prüfaufträge sind hier eindeutig zu wenig, die Maßnahmen lägen in vielen Bereichen auf der Hand und wären schnell umsetzbar! Besonders gravierend ist zudem, dass am bisherigen Parallelsystem von Provisions- und Honorarberatung festgehalten wird – und das, obwohl Studien immer wieder massive Interessenkonflikte im Finanzvertrieb nachweisen. Hier zeigt sich die Handschrift der Finanzlobby allzu deutlich.
Echte Verantwortung für Verbraucher*innen sieht anders aus: Das Bekenntnis zum nachhaltigen Konsum („Reparieren statt Wegwerfen“) bleibt eine bloße Floskel: Wer Produkte länger nutzen oder reparieren möchte, findet im Koalitionsvertrag wenig Unterstützung. Weder längere Gewährleistungsfristen noch Anreize für Reparaturen, wie Reparaturboni-Programme, sind vorgesehen. Die EU-Vorgaben gegen Greenwashing („Empowering Consumers“) drohen nur halbherzig umgesetzt zu werden, wie es hier weitergeht, um irreführende Werbung und Label a la „Klimaschonendes Fliegen für 20 Euro“ rechtlich wirksam zu unterbinden, ist völlig unklar .
Problematisch ist auch, dass Verbraucherschutz künftig wieder im Justizministerium liegt. Verbraucherschutz braucht klare Verantwortlichkeiten, durchsetzungsstarke Strukturen und eine engagierte Stimme im Kabinett. Verbraucherschutz lebt davon, dass starkes Recht im Sinne von Verbraucher*innen geschaffen und wirksam durchgesetzt werden kann. Wenn das Justizministerium hier künftig Vorschläge für neue rechtliche Rahmenbedingungen macht, wird es in Zukunft vermutlich kein anderes Ministerium mehr geben, das hier in der Kabinettsberatung im Zweifel Widerspruch im Sinne der Verbraucher*innen einlegt. Durch den angekündigten Bürokratierückbau droht obendrein ein gefährlicher Rückschritt: Wichtige Errungenschaften im Verbraucherschutz könnten schleichend abgebaut werden.
Unterm Strich setzt der Koalitionsvertrag mit dem neuen Verbraucherleitbild und der Regulierung des Ticketmarkts wichtige Akzente – doch diese Lichtblicke verblassen sofort angesichts zahlreicher Prüfaufträge und unkonkreter Versprechen, wo klare Regeln und mutige Schritte dringend gebraucht würden. Gerade in Zeiten großer Unsicherheit und steigender Preise braucht es eine Politik, die Verbraucher*innen nicht im Unklaren lässt, sondern ihnen Verlässlichkeit und Schutz bietet.
Als Grüne im Bundestag werden wir uns weiterhin mit Nachdruck dafür einsetzen, dass Verbraucherschutz nicht zur Randnotiz wird, sondern als zentrales Querschnittsthema in allen Politikfeldern mitgedacht wird und nicht hinter Wirtschaftsinteressen zurückfällt.
Die Meere – auch unsere heimische Nord- und Ostsee – sind ein unbeschreiblicher Reichtum in Sachen Natur- und Artenvielfalt und unverzichtbare Verbündete gegen den Klimawandel sowie in Fragen der Klimaanpassung. Denn sie bieten nicht nur Lebensraum für zahlreiche Arten, sondern regulieren auch unseren Wärmehaushalt und bestimmen unser Wetter. Mit einem Flächenanteil von 71% der Erdoberfläche nehmen Meere den größten Teil der Wärme auf, die durch Sonnenstrahlung entsteht, und stellen einen gigantischen natürlichen Kohlenstoffspeicher dar.
Trotz ihrer unverzichtbaren Ökosystemleistungen finden der Schutz unserer Nord- und Ostsee sowie der küstennahen Ökosysteme kaum Erwähnung im 144-seitigen Koalitionsvertrag der angehenden schwarz-roten Regierung. Im Gegenteil: Da, wo sie erwähnt werden, sind in erster Linie Rückschritte in den Schutzbemühungen nachzulesen. Das heißt: Die Meeresoffensive, die die Koalition aus Grünen, SPD und FDP angestoßen haben, wird massiv ausgebremst oder gar rückgängig gemacht.
Der wohl belastendste Punkt für die Nord- und Ostsee in den nächsten Jahren: Es soll direkt nach Beginn der Legislaturperiode umgehend ein Gesetzespaket beschlossen werden, mit dem die Entnahme und äußerst energieaufwendige Verpressung von Kohlenstoffdioxid (Carbon Capture and Storage, CCS) in Gesteinen im Meer sowie an Land ermöglicht wird. Dabei ist wichtig zu wissen, dass die Verpressung an Land in Abstimmung mit den Bundesländern erfolgen muss. Die meisten davon haben schon jetzt angekündigt, diese Technik, die auch mit erheblichen Gefahren für das Trinkwasser verbunden ist, bei sich nicht zulassen zu wollen. Es bleibt also nur die Verpressung im Meer, die mit erheblichen Lärmemissionen sowie dem Verlegen von Leitungen durch sensible Naturräume wie das Wattenmeer unweigerlich verbunden sein wird.
Wenn man die CCS-Technik schon ermöglichen will, wäre es daher eigentlich dringend nötig, mindestens sensible Schutzgebiete im Meer auszuschließen und insgesamt die Menge des zu verpressenden Kohlenstoffdioxids möglichst gering zu halten. Doch auch dies deutet sich im Koalitionsvertrag leider nicht an: Nicht nur für die besonders schwer- bis gar nicht vermeidbaren Emissionen, wie etwa aus der Zement- und Stahlherstellung, sondern auch für andere Emissionen aus dem Industriesektor und Gaskraftwerken will Schwarz-Rot die CO2-Abscheidung ermöglichen. Damit wird ein Allheilmittel in Sachen Klimaschutz versprochen, bei dem Unternehmen nicht mehr dazu angehalten werden, Emissionen zu vermeiden, sondern sie in unbegrenzter Menge abscheiden und verpressen zu können. All das auf Kosten des Meeresschutzes! Die Energiewende und insbesondere der Ausbau der Erneuerbaren Energien, die wir massiv beschleunigen konnten, werden entscheidend ausgebremst und der fossilen Energieerzeugung Tür und Tor geöffnet.
Apropos fossile Energieerzeugung: wer im Koalitionsvertrag eine Absage an neue Öl- und Gasförderprojekte in der Nordsee sucht, wird leider ebenfalls bitter enttäuscht. So soll nicht nur die Gasspeicherumlage abgeschafft und verstärkt auf Gasimporte aus dem Ausland gesetzt werden, sondern auch die „Potenziale konventionelle[r] Gasförderung im Inland“ (S. 30) genutzt werden. Somit werden auch die umstrittenen Pläne zur Gasförderung vor Borkum nicht ausgeschlossen. Dabei sind die dort liegenden Gasvorkommen für die Energieversorgung nachgewiesenermaßen nicht notwendig. Eine Förderung am Rande des UNESCO-Weltnaturerbes Wattenmeer würde das sensible Ökosysteme schädigen oder gar irreversible zerstören.
„Der Schutz der Ostsee als vom Klimawandel besonders betroffenem [sic] Binnenmeer hat für uns Priorität“, heißt es auf Seite 38 im Koalitionsvertrag – die einzige Stelle, wo Meeresschutz überhaupt erwähnt wird. Gleichzeitig sollen unter dem Deckmantel der Planungsbeschleunigung wichtige Maßnahmen, die eben diesen Schutz sicherstellen, ausgehöhlt und teilweise ausgesetzt werden: Konkret soll die Umweltverträglichkeitsprüfung durch die Anhebung von Schwellenwerten und die Aussetzung der Vorprüfung für Änderungsgenehmigungen abgeschwächt werden. Dadurch könnten Projekte wie der Bau von CCS/CCU-Anlagen und -Leitungen, die laut Koalitionsvertrag im überragenden öffentlichen Interesse liegen sollen, ohne Rücksicht auf ihre Umweltauswirkungen durchgeführt werden.
Weitere Minus-Punkte im Koa-Vertrag: Mit einer geplanten Verschlankung des Umwelt-Informationsgesetzes wird die Beteiligung und Informationsgewinnung der Zivilgesellschaft erschwert, was gleichzeitig mit einer Aushöhlung der Demokratie einhergeht. Außerdem soll das Umweltrechtsbehelfsgesetz auf eine unmittelbare Betroffenheit bei Klage und Beteiligungsrechten fokussiert werden, wodurch es Umweltverbänden erschwert wird, stellvertretend für die Natur und die Tiere Recht einzuklagen. Ob dies überhaupt mit EU-Recht vereinbar ist, darf bezweifelt werden. Darüber hinaus sollen die Nationale Biodiversitätsstrategie sowie die EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law, NRL) in der Umsetzung abgeschwächt werden. Gerade das NRL stellt dabei einen harterkämpften Meilenstein der europäischen Umweltpolitik dar, welcher die EU-Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, nach und nach geschädigte Ökosysteme auf Land und im Meer zu renaturieren, um ihre Ökosystemleistungen wieder zu herstellen.
Darüber hinaus bleibt die grundberührende Fischerei weiterhin voraussichtlich erlaubt. Sie belastet empfindliche Ökosysteme auch in Schutzgebieten, wie etwa dem Nationalpark Wattenmeer. Im Koalitionsvertrag heißt es lediglich: „Wir stehen zur Fischerei und stärken deren Entwicklung entsprechend den Empfehlungen der Zukunftskommission Fischerei (ZKF) und der Leitbildkommission Ostseefischerei“ (S. 38).
Trotz all dieser massiven Angriffe auf den Umwelt-, Natur- und Meeresschutz ist es versöhnlich, dass auch die GroKo daran nicht vorbeikommt, zentrale Meilensteine der Vorgängerregierung fortzusetzen. Mit dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK) der letzten Regierung unter Federführung des grünen Umweltministeriums bleibt also die bislang umfangreichste Förderung der Geschichte für Klima- und Naturschutz sowie Renaturierungsprojekte bestehen. Bis 2028 stehen im Rahmen des ANK 3,5 Milliarden Euro u.a. für Maßnahmen zur Wiederherstellung sowie für klimafreundliche und naturverträgliche Bewirtschaftungsformen zur Verfügung. Über 9000 Projekte wurden bereits bewilligt und werden somit aus dem Programm (mit)finanziert. Gefördert werden auch Projekte zur Erhaltung und zum Wiederaufbau von Salzwiesen, Seegraswiesen, Kelpwäldern sowie zu deren Vorlauf- und Begleitforschung zur Stärkung ihres Beitrags zum natürlichen Klimaschutz.
Ebenso erfreulich ist, dass das Sofortprogramm zur Bergung von Munitionsaltlasten fortgeführt und ein Bundeskompetenzzentrum dafür in Ostdeutschland errichtet werden soll, in dem wissenschaftliche Einrichtungen, Privatwirtschaft und operative Behörden zusammenarbeiten. Erstmals ging die Regierung aus Grünen, SPD und FDP es aktiv an, den giftigen Munitionsschrott aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg aus dem Meer zu entfernen. Dafür wurden im parteiübergreifenden Konsens 100 Millionen Euro durch den Bundestag zur Verfügung gestellt, um erste Probebergungen zu machen und die notwendige Technik zur Bergung zu entwickeln. Es liegt nun in der Verantwortung der schwarz-roten Regierung, eine langfristige Finanzierung in Zusammenarbeit mit den Ländern sicherzustellen. Im Koalitionsvertrag bleibt der Finanzierungsaspekt allerdings offen.
Ebenso fortgesetzt wird erfreulicherweise die Meeresnaturschutz- und Fischereikomponente aus dem Wind-See-Gesetz. Noch an dem Tag, an dem Bundeskanzler Scholz Finanzminister Lindner entließ, sicherte der Haushaltsausschuss des Bundestages 400 Millionen Euro für den Meeresnaturschutz in Form eines Meeresnaturschutzfonds in der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). Die Mittel stammen aus Einnahmen aus den Versteigerungen von Windkraftflächen auf See und können als DBU-Stiftungskapital dauerhaft schätzungsweise eine jährliche Ausschüttung von ca. 10 Millionen Euro generieren, die für Meeresnaturschutzprojekte eingesetzt werden. Der Koalitionsvertrag lässt jedoch leider offen, ob auch weitere Einnahmen aus den Ausschreibungen von Windkraftflächen für den Meeresnaturschutz eingesetzt werden und was genau die neue Regierung unter nachhaltiger Fischerei verstehen wird.
Alles in allem ist der schwarz-rote Koalitionsvertrag leider insbesondere auch im Küsten- und Meeresschutz von Rückschritt sowie Ambitionslosigkeit gekennzeichnet und verkennt nicht nur die zentralen Herausforderungen der Klima- und Artenkrise, sondern macht auch große Fortschritte der letzten Regierung gerade im Hinblick auf den Klimaschutz und die Energiewende rückgängig. Dabei trifft der Klimawandel Europa besonders stark. Denn kein Kontinent erwärmt sich schneller als Europa, wie gerade der jüngst veröffentlichte Klimabericht 2024 des EU-Klimawandeldienstes Copernicus aufzeigt. Daher wird die nächste Regierung sich auch daran messen lassen müssen, inwieweit sie es schafft, Deutschland an die Klimafolgen anzupassen.
Heute habe ich im Tagesspiegel Background Gesundheit und E-Health in der Rubrik „Standpunkt“ einen Namensbeitrag zum Thema Drogen- und Suchtpolitik veröffentlicht:
Die Ergebnisse der Verhandlungsgruppen von Union und SPD sind da und ein Thema muss man dabei mit der Lupe suchen: Drogen- und Suchtpolitik. Gerade mal ein schwammiger Hinweis dazu, dass man Prävention irgendwie stärken und ein bundesweites Nichtraucherschutzgesetz etablieren will. Diese Vernachlässigung ist ein fataler Fehler, denn Drogen- und Suchtpolitik ist ein wichtiger Pfeiler guter Gesundheitspolitik. Was bräuchte es und warum?
Viele denken bei Drogen- und Suchtpolitik an Heroin- oder Crackabhängige. Doch die Volksdrogen Alkohol, Tabak und mittlerweile auch Glücksspiel und Sportwetten sind weit verbreitet und verursachen immense Kosten im Gesundheitssystem. Schätzungen zufolge sterben hierzulande jährlich 40.000 Menschen an den direkten oder indirekten Folgen von Alkohol, die enormen Kosten durch Arbeitsausfälle sind dabei noch nicht eingerechnet. Auch durch Tabak sterben jedes Jahr geschätzte 79.000 Menschen.
Was viel zu oft vergessen wird: Jedes vierte bis fünfte Kind in Deutschland wächst mit mindestens einem suchtkranken Elternteil auf. Diese Kinder tragen eine erdrückende psychische Last, schämen sich oft für die Situation daheim, versuchen sie zu vertuschen und sind viel zu früh auf sich allein gestellt. Sie haben obendrein ein extrem erhöhtes Risiko, selbst suchtkrank zu werden. Die beste Prävention wäre es, hier stärker hinzuschauen und Familien frühzeitig Hilfe und Beratung anzubieten.
Suchtberatung in Deutschland: chronisch unterfinanziert
Doch gerade bei den Beratungsangeboten hakt es: Suchtberatung ist in Deutschland zwar kostenlos und damit erfreulicherweise niedrigschwellig zugänglich, doch ist sie eine Kann-Leistung der Kommunen. Das heißt: Kommunen müssen sie sich leisten können. In Zeiten leerer Kassen trifft es diesen Bereich leider vielerorts oft als Erstes. Wir brauchen verpflichtende Angebote abhängig von der Einwohnerzahl. Denn Suchtberatung ist hoch effektiv: Wenn Betroffene ihre Krankheit anerkennen und zur Therapie bereit sind, können Suchterkrankungen effektiv behandelt werden. Wir haben eines der besten Suchthilfesysteme der Welt, doch viele Betroffene werden nicht erreicht, weil es schon bei der Beratung hakt!
Ebenso wichtig wie Behandlung sollte es uns sein, Suchterkrankungen zu vermeiden. Prävention ist vielschichtig: Studien zeigen, dass die so genannte Verhältnisprävention besonders effektiv ist. Das bedeutet, dass man Lebensumstände so ausgestaltet, dass der Konsum von Suchtmitteln möglichst unattraktiv wird. Konkret heißt das etwa: Werbung und Sponsoring eindämmen oder untersagen, Verkaufsorte und -zeiten für Alkohol und Tabak einschränken, effektive Alterskontrollmaßnahmen beim Verkauf oder auch konsumfreie Zonen im öffentlichen Raum. Einsatzlimits und Abstandsregeln sind insbesondere bei Glücksspiel und Sportwetten effektiv, um Suchtkranke daran zu hindern, unbegrenzt Geld an Automaten oder in Online-Casinos zu verzocken.
Die neue Regierung wäre gut beraten, bei der Verhältnisprävention legaler Suchtmittel voranzugehen. Eine deutliche Mehrheit unterstützt dies: Etwa 80 Prozent befürworten einer Studie von 2023 zufolge starke Einschränkungen von Werbung für Alkohol. Doch mit einer CSU aus Bayern, wo exzessiver Bierkonsum auf dem Oktoberfest mit sieben Millionen Maß Bier zelebriert wird, und Markus Söder meint, auch nach mehreren Bieren noch Auto fahren zu können, darf leider bezweifelt werden, ob Fortschritte möglich werden.
Niedrigschwellige Hilfen statt Kriminalisierung
Abseits von Alkohol und Tabak hat die letzte Regierung mit dem Bundes-Drogenbeauftragten Burkhard Blienert (SPD) eine Kehrtwende in der Drogenpolitik eingeleitet: Weg von Kriminalisierung und Stigmatisierung hin zu mehr Hilfen und akzeptierenden Angeboten. Denn suchtkranke Menschen brauchen Hilfe statt Strafverfolgung.
Bei Cannabis wurde der Paradigmenwechsel besonders kritisch beäugt, aber er ist und bleibt richtig. Umso wichtiger ist, dass wir den eingeschlagenen Weg weitergehen und auch für illegalisierte Substanzen niedrigschwellige Zugänge zu Hilfen und Aufklärung ausbauen. Konkret heißt das: mehr Drogenkonsumräume und Drugchecking-Angebote, Ersatzstofftherapie fördern breiter erforschen.
Die neue Koalition täte gut daran, diese Erkenntnisse anzunehmen und dem Thema in den aktuellen Verhandlungen mehr Raum einzuräumen. Denn eine zeitgemäße Drogen- und Suchtpolitik rettet Leben!
Der Beitrag ist auch auf der Website des Tagesspiegel Background hier zu finden.
Viele Leaks zu vorläufigen Koalitionsvereinbarungen zwischen Union und SPD erblickten letzte Woche das Licht der Welt, auch zum Thema Umwelt- und Naturschutz. Dabei werden unter dem Stichwort Meeresschutz immerhin Munitionsbergung und nachhaltige Fischerei als Ziele genannt. Doch Küsten- und Hochwasserschutz sucht man in dem Papier vergeblich. Das ist ein fataler Fehler!
Warum ist das so und wie müsste ein wirklich nachhaltiger zukunftsgewandter Schutz der Küsten aussehen?
Die Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 ist tief eingebrannt in das Gedächtnis der Bevölkerung in Norddeutschland. Mit 130 Stundenkilometern löste der Orkan „Vincinette“ die folgenreichste Sturmflut an der Nordsee seit Beginn der Wasserstandsaufzeichnungen aus, die neben Schleswig-Holstein und Niedersachsen ganz besonders auch Hamburg traf. Trotz Sturmflutwarnung wurden viele Menschen damals vom Hochwasser wortwörtlich im Schlaf überrascht. Bis in die frühen Morgenstunden brachen fast alle Deiche und Dämme mit gravierenden Folgen: 315 Tote, 20.000 Obdachlose, zahlreiche zerstörte oder schwer beschädigte Wohnungen sowie kaputte Infrastruktur.
63 Jahre nach dieser schrecklichen Naturkatastrophe ist die Gefahr ähnlicher Extremwetterereignisse nicht gebannt, im Gegenteil: Infolge des anthropogenen Klimawandels dehnt sich nicht nur das Wasser in unseren Meeren und Ozeanen aus, sondern auch die Gletscher und Eisschilde schmelzen immer weiter ab, was unter anderem zu einem globalen Anstieg des Meeresspiegels führt. Dadurch treten Extremwetterereignisse wie Sturmfluten, Starkregen oder aber auch Dürren häufiger und heftiger auf. Nicht zuletzt haben uns die Flut in Spanien im Herbst 2024 oder aber auch die schwere Flut im Herbst 2023 an der Ostseeküste dies deutlich vor Augen geführt.
Daher ist die kommende Bundesregierung dringend gefordert, sich dieser immensen Herausforderung zu stellen und in enger Kooperation mit den Küstenländern den Küsten- und Hochwasserschutz zukunftsfest aufzustellen. Konventioneller und natürlicher Küsten- und Hochwasserschutz müssen dabei künftig stärker zusammengedacht werden. Ein schlichtes Weiterso ist weder finanziell noch ökologisch nachhaltig. Bereits jetzt stößt der konventionelle Küstenschutz mit dem Fokus auf Deicherhöhung und -verbreiterung, ständigen Sandaufspülungen sowie technische Entwässerung an logistische und finanzielle Grenzen und ist ökologisch nur bedingt nachhaltig.
Die immensen Schäden der Sturmflut von 1962 waren ein folgenschwerer Stresstest für die damaligen Schutzanlagen. Infolgedessen wurde eine komplett neue, fast durchgehenden Hochwasserschutzlinie von ca. 100 Kilometern und mindestens 7,20 Meter über Normalnull gebaut. Seit 1990 werden die Schutzanlagen stetig modernisiert und erhöht, aktuell mit einer Deichhöhe von 7,50 bis 9,25 Metern über Normalnull. Ein Erfolg: Zwar gab es seither weitere Sturmfluten, die sogar noch höher ausfielen, jedoch ohne vergleichbare Schäden.
Die nahezu geschlossene Deichlinie bietet derzeit zwar ein hohes Schutzniveau vor Sturmfluten, allerdings können und dürfen wir uns darauf nicht ausruhen: Je höher der mittlere Meeresspiegel steigt, umso häufiger und heftiger treten Extremwetterereignisse wie Sturmfluten auf. Infolge der globalen Erwärmung steigt der Meeresspiegel immer weiter an – schätzungsweise bis zu 1,20 Metern bis zum Ende des Jahrhunderts, wenn wir unsere Treibhausgasemissionen unverändert lassen. In der Deutschen Bucht könnte dies dazu führen, dass Sturmfluten bis zu 1,50 Metern höher ausfallen als heute – dementsprechend wäre auch eine viel größere Fläche zu schützen.
Dieser Umstand setzt unsere Schutzanlage einem immer höheren Anpassungsdruck aus – mit enormen finanziellen und ökologischen Kosten. Vielerorts fehlen nicht nur Sand, Klei und die zusätzlich benötigte Fläche, sondern auch der Untergrund kann die zusätzliche Last durch die kontinuierliche Erhöhung und Verbreiterung nicht ohne Weiteres tragen kann.
Deiche bieten für das Land dahinter zwar sichtbar Schutz vor Sturmfluten, beanspruchen allerdings auch viel Fläche, die dann fehlt, damit die Wassermassen auslaufen und Energie abbauen können. Dadurch staut sich das Wasser auch verstärkt in den Marschgebieten vor den Deichen auf. Um diese zu entwässern, müssen die Deichanlagen mit umfangreichen Grabensystemen und Sieltoren ergänzt werden. Doch vielfach reichen die bisherigen Siele nicht mehr und es müssen zunehmend energieaufwändige Pumpen zur Entwässerung eingesetzt werden.
Das durch den gestiegenen Meeresspiegel entstandene „umgekehrte Gefälle“ erhöht zudem den Druck des Salzwassers auf die Grundwasserschichten. Infolge des Abpumpens des oberflächennahen Süßwassers durch die Entwässerung dringt mehr Salzwasser in die Süßwasserschichten ein, wodurch unser Grundwasser zunehmend versalzt und damit ungenießbar wird.
Alles in allem ist ein schlichtes Weiterso des Küsten- und Hochwasserschutzes weder finanziell noch ökologisch nachhaltig. Bereits jetzt stößt die aktuelle Praxis an technische wie auch finanzielle Grenzen. Mit steigenden Pegeln werden immer höhere Deichaufstockungen notwendig sein, als dies mit Blick auf die Tragfähigkeit des Untergrundes möglich ist. Daher muss guter Küsten- und Hochwasserschutz Naturschutz klug mitdenken und Synergien schaffen, um langfristig zu funktionieren.
Das heißt ganz konkret: In der Klimaanpassungsstrategie müssen insbesondere die natürlichen Küsten- und Hochwasserschutzfunktionen unserer marinen sowie küsten- und flussnahen Ökosysteme wie Moore, Auen, Riffe, Salzmarschen und Seegraswiesen stärker einbezogen werden, indem wir diese schützen, fördern und vor allem wiederherstellen.
Infolge ihrer systematischen Vernachlässigung und Umgestaltung für wasserbauliche und landwirtschaftliche Nutzungen sind bereits jetzt die Ökosystemleistungen dieser wichtigen Biotope deutlich beeinträchtigt oder sogar unwiderruflich zerstört worden. So sind viele einstige Salzwiesen an den deutschen Küsten eingedeicht oder für landwirtschaftliche Zwecke umgestaltet und dadurch entwässert worden. Allein an der Ostseeküste wurden im vergangenen Jahrhundert 95% der Salzwiesen eingedeicht. Dabei bieten Salzwiesen eine Pufferzone zwischen Land und Meer und schützen vor Sturmfluten und Hochwasser, indem sie die Wellen effektiv ausbremsen. Sie sind zudem auch hochproduktive Kohlenstoffsenken, die um ein Vielfaches schneller Kohlenstoff speichern können als ein Wald. Viele der entwässerten Gebiete haben ursprünglich Moorböden. Durch die vielen trockengelegten Moore fehlen uns nicht nur wichtige Kohlenstoffspeicher, sondern auch viele Insekten und Brutvögel verlieren zudem ihren Lebensraum.
Als hochproduktive natürliche Kohlenstoffsenken und ausgezeichnete Wellenbrecher gelten auch Seegraswiesen. Ihr tiefreichendes Wurzelwerk ist eine natürliche Kohlenstofflagerstätte, die gleichzeitig den Meeresboden stabilisieren und damit vor Hochwasser und Überschwemmungen schützen kann. Schätzungsweise können dichte Seegraswiesen Wellen und Meeresströmungen um 25 bis 45 Prozent dämpfen, bevor diese die Küsten erreichen. Durch die Anhäufung von Sediment bieten sie zudem kontinuierlichen Schutz vor steigenden Meeresspiegeln. Leider sind auch die Seegraswiesenbestände an den deutschen Küsten stark geschrumpft – vor allem durch Nährstoffeinträge. Obwohl leichte Verbesserung zu verzeichnen sind, sind die Ostsee und 87% der Nordsee überdüngt – vor allem in den Mündungsgebieten der deutschen Flüsse.
Im Kampf gegen Hochwasser und Dürreperioden gehören auch Auen zu den Schlüsselakteuren. Bei Hochwasser nehmen sie das Wasser auf und in Trockenperioden geben sie es nach und nach wieder an die Landschaft ab. Zudem lagern sie ebenfalls viel Kohlenstoff und bieten Lebensraum für viele Arten. Allerdings sind in Deutschland zwei Drittel der Überschwemmungsgebiete verloren gegangen, entlang großer Flüsse sind in vielen Abschnitten teilweise nur noch 10-20% der ehemaligen Auen vorhanden.
Wenn wir all diese Ökosysteme künftig besser schützen bzw. auch wiederherstellen, leisten wir zeitgleich zum Hochwasser- und Küstenschutz einen wichtigen Beitrag zum Klima- und Naturschutz. Denn dadurch wird zudem Kohlenstoff der Atmosphäre entzogen und die vielen marinen wie auch terrestrischen Tier- und Pflanzenarten bekommen wieder einen gesunden Lebensraum zur Verfügung gestellt.
Unsere marinen sowie küsten- und flussnahen Ökosysteme zu schützen und wiederherzustellen, sollte unser vorrangig erklärtes Ziel sein, im Sinne des Klima- und Hochwasserschutzes! Dabei muss und darf der natürliche Küsten- und Hochwasserschutz die technischen Maßnahmen nicht unbedingt ersetzen, sondern vielmehr sinnvoll ergänzen. Beispielsweise können Deiche rückverlegt und durch die Wiederherstellung von Salz- und Seegraswiesen im Deichvorland ökologisch aufgewertet werden. Die Bepflanzung der Hohlräume von Deckwerken kann ebenfalls neue Lebensräume für verschiedene Pflanzen- und Tierarten schaffen. Auch die Wiederherstellung von Riffen schafft nicht nur neue Lebens- und Rückzugsräume für verschiedene Arten, sondern kann auch den natürlichen Küsten- und Hochwasserstutz stärken, da stabile Riffe den Wellengang ausbremsen können.
Mit dem Aktionspragramm Natürlicher Klimaschutz hat die Bundesregierung 2021 bis 2025 unter der Federführung des grünen Umweltministeriums bereits 3,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, mit denen bis 2028 Maßnahmen zur Wiederherstellung sowie für klimafreundliche und naturverträgliche Bewirtschaftungsformen gefördert werden, die auch dem natürlichen Küsten- und Hochwasserschutz zugutekommen. Es muss auch langfristig weitergehen, denn all das zeigt: Klima-, Natur- und Küstenschutz sind gut miteinander vereinbar. Auch der neu geschaffene Meeresnaturschutzfonds der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), der Fördergelder für Renaturierungsprojekte vergeben wird, ist ein wichtiger Schritt, der 2024 eingeschlagen wurde. Nun muss es dringend weitergehen! Die nächste Bundesregierung muss es nur politisch wollen und ermöglichen!
Grün macht den Unterschied. Das Bundesumweltministerium von Steffi Lemke fördert 100 Vorhaben für die Klimaanpassung in sozialen Einrichtungen. Damit geht das dritte Antragsfenster der Förderrichtlinie „Klimaanpassung in sozialen Einrichtungen“ (AnpaSo) in die Umsetzung. Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, Kindertagesstätten, Alten- und Pflegeheime und weitere soziale Einrichtungen werden mit insgesamt 11,85 Mio. Euro gefördert, um sich an die Folgen der Klimaerhitzung anzupassen. Im Fokus stehen naturbasierte Maßnahmen wie Gründächer und Fassadenbegrünungen, die Entsiegelung von Flächen oder die Anlage von Wasserflächen, zur Anwendung bringen. Sie dienen der Klimaanpassung und zugleich dem natürlichen Klimaschutz, der Biodiversität, dem Speichern von Regenwasser, der Verbesserung der Luftqualität sowie dem Lärmschutz. Menschen, die in sozialen Einrichtungen betreut werden – z.B. Kinder, Ältere oder Pflegebedürftige – sind von Extremwetterereignissen besonders stark betroffen und können sich nicht gut selbst schützen. Deshalb werden gezielt Kindertagesstätten, Pflegeheime und anderen Einrichtungen bei der Klimavorsorge unterstützt.
Zum Hintergrund:
Die Förderrichtlinie „Klimaanpassung in sozialen Einrichtungen“ (AnpaSo) richtet sich bundesweit an Kommunen, gemeinnützige Vereinigungen sowie Organisationen und Unternehmen im Gesundheits-, Pflege- und Sozialsektor. Das Bundesumweltministerium fördert ganzheitliche Klimaanpassungskonzepte sowie die Umsetzung von konzeptbasierten und vorbildhaften investiven Maßnahmen. So werden soziale Einrichtungen dabei unterstützt, sich gegen die Folgen der Klimaerhitzung zu wappnen. Die geförderten Projekte sollen einen ausgeprägten Modellcharakter haben und andere Akteure mittels bestehender Netzwerke zur Nachahmung anregen. Die Anträge im aktuellen Förderfenster sehen z. B. Dach-, Fassaden- und Innenraumbegrünungen zur Verringerung der Hitzebelastung in Gebäuden vor, aber auch innovative Ansätze zur Regenwasserversickerung wie die Ausbildung von Spielmulden mit Retentionsfunktion im Außenbereich einer Kindertagesstätte. Alle Antragstellenden erhalten derzeit eine Mitteilung zum Ergebnis des Auswahlverfahrens.
Im Deutschen Bundestag haben wir heute – in der Zusammensetzung der Abgeordneten der 20. Wahlperiode – über ein umfassendes Paket von Grundgesetzänderungen abgestimmt, das mehr Ausgaben für Investitionen, Verteidigung und Hilfen für die Ukraine ermöglicht.
Ob ich dem zustimmen kann und will, darüber habe ich lange nachgedacht und bin letztlich, nachdem heute ein stark durch uns Grüne verbesserter Entwurf auf dem Tisch lag, zu dem Ergebnis gekommen, dass ich mit ‚Ja‘ stimmen werde. Auch, wenn nicht alles an dem vorliegenden 12-seitigen Antrag über Änderungen im Grundgesetz optimal ist.
Zum Hintergrund meiner Entscheidung:
Es ist bitter zu sehen, dass wir als Grüne bereits letzte Legislatur und im Wahlkampf darauf aufmerksam gemacht haben, dass es massive Investitionen in Infrastruktur und Sicherheit braucht, die ohne neue Schuldenaufnahme und idealerweise eine umfassende, gut durchdachte Reform nicht machbar sind.
Dies wurde von der CDU/CSU in der Opposition wie auch von der FDP als Koalitionspartei lange geleugnet. Kurz nach der Wahl dann machte Friedrich Merz es sich zu eigen und brachte ein Paket in den Bundestag ein, das mehrere Sondervermögen vorsah. Mit den Mehrheiten des alten Bundestages wollte er Geld auf den Weg zu bringen, mit dem er in einer neuen Koalition dann würde agieren können. Ich hatte zu diesem ersten Entwurf viele Fragen und Unklarheiten, insbesondere störte mich auch, dass Klima-, Umwelt- und Naturschutz darin genauso wenig eine Rolle spielten wie im veröffentlichten Sondierungspapier. Hierzu habe ich gemeinsam mit Tobias Goldschmidt, grüner Umweltminister in Schleswig-Holstein, auch mit dem Hamburger Abendblatt gesprochen.
Gleichzeitig war und ist uns Grünen sehr wichtig, angesichts internationaler Herausforderungen gerade jetzt schnell in Sicherheit in Deutschland zu investieren sowie die geplanten 3 Milliarden Euro Soforthilfen für die Ukraine schnell auf den Weg zu bringen. Denn in der Ukraine wird letztlich der Frieden in Europa verteidigt. Um das klarzumachen, brachten wir einen eigenen Antrag ein, der den Sicherheitsbegriff deutlich breiter fasst als nur die Stärkung der Bundeswehr. Dies ist für uns zentral. Russland führt schon heute Krieg auch gegen uns und andere Länder Europas – durch Angriffe im virtuellen Raum sowie auf zentrale Versorgungselemente der Infrastruktur wie zum Beispiel Internetkabel in der Ostsee. Wir müssen daher unsere Verteidigungsfähigkeit entscheidend stärken.
Für mich ist es zentral, dass wir mit dem letztlich ausgehandelten Paket nun diesen breiteren Sicherheitsbegriff verankert haben und die Soforthilfen freigeben. Für mich ist es wichtig, dass dies tatsächlich noch in der 20. Legislatur geschieht, weil unklar ist, ob es dafür in der 21. Wahlperiode noch die Mehrheiten gibt.
Daneben sind hohe Investitionen in die Infrastruktur zwingend nötig. Nach meiner Einschätzung hätte man die Weichen dafür aber auch in der nächsten Legislatur noch in Ruhe stellen können – ob über eine grundlegende und durchdachte Reform der Schuldenbremse oder ein Sondervermögen. Die Art und Weise, wie es in den letzten Tagen innerhalb von vier Tagen Beratungszeit durch die Gremien des Parlaments gepeitscht wurde, ist vielleicht das, was mir an dem gesamten Verfahren am meisten Bauchschmerzen bereitet. Denn dadurch fehlte die Zeit, grundlegend zu diskutieren und zu verankern, was unter zukunftsgerichteten Investitionen, für die nun 500 Milliarden Sondervermögen zur Verfügung stehen sollen, wirklich zu verstehen ist. Das Verfahren war und ist der Breite des Themas und der Entscheidung, die wir als Parlamentarier*innen zu treffen haben, in keiner Weise angemessen. Leider wurde eine getrennte Abstimmung über Ausgaben für Sicherheit sowie das Sondervermögen für Investitionen durch SPD und Union konsequent abgelehnt.
Ich bin sehr froh, dass wir als Grüne unter diesen Voraussetzungen im Investitions-Sondervermögen noch verankert haben, dass Klimaneutralität bis 2045 bei den Investitionen ein zentrales Ziel sein muss und dass allein 100 Milliarden aus dem Sondervermögen in den Klima- und Transformationsfonds verschoben werden. Auch das verankerte Kriterium der Zusätzlichkeit ist zentral. Denn es bedeutet, dass ohnehin veranschlagte Ausgaben im Kernhaushalt nicht einfach zu Investitionen umdeklariert und ins Sondervermögen verschoben werden können, um im Kernhaushalt Platz für Wahlgeschenke wie zum Beispiel die Wiedereinführung der Agrardiesel-Subventionen zu schaffen.
Trotzdem ist klar: wir werden als Grüne aus der Opposition heraus nur begrenzt Kontrolle darüber haben, was mit dem zur Verfügung gestellten Geld genau geschieht. Auch das ist das Wesen der Demokratie: über Ausgaben entscheiden in erster Linie jene, die eine Regierung bilden, wir Grüne gehören dieser in den nächsten vier Jahren voraussichtlich nicht an.
Mit dem Sondervermögen für Investitionen, für das wir mit dem Ziel der Klimaneutralität bestimmte Vorgaben gemacht haben, können vermutlich auch neue Autobahnen oder im Zweifel sogar Atomkraftwerke reaktiviert werden, was wir als Grüne für grundlegend falsch halten. Deshalb gilt es, die Ausgaben in den kommenden Jahren aus der Opposition heraus gut und sorgfältig zu beobachten, zu debattieren und zu kontrollieren! Trotz all dieser dargelegten Zweifel und Unsicherheiten überwiegt bei mir am Ende die Zustimmung zu dem, was wir als Grüne in den Verhandlungen an Erfolgen noch verankern konnten. Demokratie bedeutet immer, Kompromisse zu machen und sich nie zu 100 Prozent mit der eigenen Vorstellung durchzusetzen. Doch dass dieser Staat und diese Demokratie mit den Parteien der demokratischen Mitte jetzt die Handlungsfähigkeit des Staates sicherstellen, ist für mich ein hoher Wert. Das ist in Kombination mit der dringenden Notwendigkeit der Friedenssicherung in Europa für mich heute das zentrale Motiv dafür, dem ausgehandelten Paket für Staatsausgaben meine Zustimmung zu geben.