Gesundheitspolitik im Wartebereich

Gesundheitspolitik im Wartebereich

Der Koalitionsvertrag 2025 zwischen CDU/CSU und SPD wirft in Bezug auf die Gesundheitspolitik mehr Fragen auf, als er Antworten gibt. Besonders deutlich wird das beim Thema der Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV): Anstatt dringend notwendige Reformen jetzt anzugehen, schiebt die neue Koalition das Problem in eine Kommission mit zweijähriger Laufzeit ab. Das ist nicht nur ein Rückschritt gegenüber dem bereits geleakten Vorentwurf, sondern auch ein fatales Signal an die Krankenkassen und die Versicherten. Darüber hinaus bleibt die Preisgestaltung der Pharmaindustrie weitgehend unreguliert: Sie kann weiterhin hohe Preise für neue Arzneimittel festsetzen, wodurch die Ausgaben der GKV weiter steigen. Gerade teure und innovative Medikamente machen einen Großteil der GKV-Ausgaben aus und nach den USA haben wir in Deutschland dafür die höchsten Preise weltweit. Es ist absehbar, dass es zu einem erheblichen Beitragsdruck kommen wird – die Zeche zahlen am Ende die Versicherten.

Auch bei der Pflegereform setzt die Koalition auf Vertagung statt auf Lösungen. Die dringend notwendige große Reform der sozialen Pflegeversicherung soll ebenfalls in einer Kommission erarbeitet werden – konkrete Entlastungen für Pflegebedürftige, deren Angehörige und Pflegekräfte bleiben aus. Doch gerade JETZT brauchen alle Beteiligten dringend spürbare Unterstützung, denn die Pflegekassen sind am Rande ihrer Belastbarkeit. Immerhin: Dank der Vorarbeit der Grünen sollen das Pflegekompetenzgesetz und das Pflegeassistenzgesetz endlich kommen.

Einen Hoffnungsschimmer bietet auch das angekündigte „Primärarzt“-System, das das Potenzial birgt, die Versorgung gezielter zu steuern, Überversorgung zu vermeiden und Patientinnen künftig besser durch das Gesundheitssystem zu lotsen. Viele Akteur*innen im Gesundheitswesen sehen darin eine große Chance, die Strukturen effizienter und patientenfreundlicher zu gestalten. Doch wie so oft steckt der Teufel im Detail: Die Ausgestaltung dieses Systems ist noch völlig offen und die Diskussionen darüber laufen auf Hochtouren.

Im Gegensatz dazu herrscht im Koalitionsvertrag beim Thema Stärkung der Patientenrechte komplette Stille. Das Patientenrechtegesetz ist längst reformbedürftig, um Patient*innen mehr Sicherheit und Mitsprache zu garantieren. Ebenso bleibt die Frage unbeantwortet, wie Menschen mit Sprachbarrieren oder ohne ausreichenden Krankenversicherungsschutz künftig besser erreicht werden können.

Im Bereich der psychischen Gesundheit werden die Probleme zwar erkannt, aber keine konkreten Lösungen geliefert. Wie die Versorgungslage tatsächlich verbessert werden soll, bleibt unbeantwortet – die psychiatrische Versorgung wird gleich gänzlich ausgeblendet. Gerade angesichts der alarmierenden Versorgungslage – von monatelangen Wartezeiten auf Therapieplätze bis hin zu massiven Personalengpässen in Kliniken und Praxen – ist diese Leerstelle besonders fatal.

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Präventions- und Suchtpolitik: Die Koalition bleibt auch hier weit hinter dem Notwendigen zurück. Wie ich bereits im Tagesspiegel-Background „Prävention statt Ignoranz ausführlich dargelegt habe, fehlt es im Koalitionsvertrag an konsequenten Maßnahmen zur Verhältnisprävention bei Volksdrogen wie Alkohol und Tabak sowie an einer verlässlichen Finanzierung der Suchtberatung.

Insgesamt bleibt der Eindruck, dass die Gesundheitspolitik der neuen Koalition von Verschiebungen und Unentschlossenheit geprägt ist. Notwendige Reformen werden vertagt, Probleme in Kommissionen ausgelagert und die dringendsten Herausforderungen bleiben ungelöst. Wir Grüne werden uns weiterhin mit Nachdruck dafür einsetzen, dass die Gesundheitspolitik nicht im Wartebereich verharrt und Schwarz-Rot zumindest nach der Kommissionsphase endlich den Mut zum Handeln aufbringt.

Rezeptfreie Abgabe von Naloxon zur Opioid-Notfalltherapie beschlossen!

Rezeptfreie Abgabe von Naloxon zur Opioid-Notfalltherapie beschlossen!

Ein bedeutender Fortschritt für die Schadensminderung in der Drogen- und Suchthilfe: Der Ausschuss unabhängiger Sachverständiger des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat einstimmig für die Entlassung von Naloxon zur nasalen Anwendung aus der Verschreibungspflicht gestimmt.

Die Zahl der drogenbedingten Todesfälle in Deutschland ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, wobei Opioide weiterhin die häufigste Ursache sind.

Verbesserung bringen kann hier das Notfall-Medikament Naloxon, das es seit einigen Jahren auch als Nasenspray gibt. Die flächendeckende Umsetzung von Take-Home-Naloxon kann entscheidend dazu beitragen, die Zahl zu senken und die Notfallversorgung bei Opioid-Überdosierungen erheblich zu verbessern, wenn es zügig angewendet wird. Naloxon wirkt schnell und effektiv und würde ohne Rezept leichter zugänglich werden – ein bedeutender Fortschritt für gefährdete Personen und ihr Umfeld. Modellprojekte wie „THN Bayern“ und „NALtrain“ zeigen, dass geschulte medizinische Laien Naloxon sicher anwenden und so Leben retten können. In diesen Projekten wurden Angehörige gezielt im Umgang mit dem Medikament geschult.

Dennoch bleiben offene Fragen, bevor Naloxon als Nasenspray wirklich für alle verfügbar wird: Nyxoid® bleibt vorerst verschreibungspflichtig, aber mit Ventizolve® könnte bald eine rezeptfreie Alternative verfügbar sein. Unklar ist auch noch, ob Naloxon weiterhin von den Krankenkassen erstattet wird – eine entscheidende Frage für den barrierefreien Zugang.

Für mich ist klar: Diese Entscheidung in den Gremien der Selbstverwaltung des Gesundheitswesens ist ein entscheidender Fortschritt für die Vermeidung opioidbedingter Todesfälle. Jetzt gilt es, die Verfügbarkeit von Take-Home-Naloxon sicherzustellen und regulatorische Hürden abzubauen. Die Umsetzung der notwendigen Rechtsverordnung könnte sich wegen der Neuwahlen verzögern, doch wir bleiben dran, hier politischen Druck zu machen und aufrecht zu erhalten. Die wissenschaftliche Evidenz spricht auf jeden Fall für eine schnelle Umsetzung.

Mehr Infos dazu u.a. auf den Seiten des Bundesverbands für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik, der pharmazeutischen Zeitung, und des Forum Substitutionspraxis.

Therapie statt Strafe – Bundesrat will Anspruch auf Therapie für Häftlinge stärken

Wer im Gefängnis sitzt, hat in der Regel mehrere Probleme auf einmal. Neben der abgeurteilten Tat sind viele inhaftierte Männer und Frauen verschuldet, haben Ausbildungslücken und angestaute soziale Konflikte. Bei knapp der Hälfte der Inhaftierten kommen zudem substanzbezogene Störungen hinzu – also Abhängigkeiten von Suchtmitteln.

Menschen in Haft haben generell keine starke Lobby. Da ist es mir besonders wichtig, einmal eine positive Entwicklung aufzugreifen: Der Bundesrat hat kürzlich eine Initiative beschlossen, die es erleichtern soll, dass suchtmittelabhängige Inhaftierte aus der Haft heraus eine Therapie antreten können.

In bestimmten Fällen können drogenabhängige Häftlinge nämlich eine Therapie während der Haft beantragen. Das Prinzip lautet hier „Therapie statt Strafe“ und die Voraussetzungen für einen solchen Antrag sind in §35 des Betäubungsmittelgesetzes geregelt. Das Land NRW hat dazu einen Gesetzesantrag in den Bundesrat gebracht, der nun beschlossen wurde.

Was der entsprechende Paragraph regelt: Es kann, wer die der Haft zu Grunde liegende Straftat unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln begangen hat und insgesamt oder nur noch bis zu zwei Jahre eine Freiheitsstrafe verbüßen muss, nach Paragraf 35 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) eine Drogenentzugstherapie machen. Die Strafe kann dann zugunsten der Therapie ausgesetzt werden.

Das bisherige Problem in der Praxis bei der Umsetzung dieser Regelung: Damit die Therapie bewilligt wird, muss eine Kostenzusage der zuständigen Renten-, Krankenversicherung oder des Sozialhilfeträgers vorliegen. Neben reinen Therapiekosten gilt es auch, die Nebenkosten, wie zum Beispiel für Transport zur Klinik, zu decken. In der Regel wird diese aus dem Bürgergeld oder der Grundsicherung für Arbeitslose finanziert. Doch häufig erfolgt die Bewilligung derzeit nicht, weil die Betroffenen zu dem Zeitpunkt, an dem sie aus der Haft heraus den Antrag stellen, nicht im Bürgergeldbezug sind. Insbesondere ein Urteil des Bundessozialgerichts 2021 hatte hier für große Unsicherheiten und Rechtsstreitigkeiten zwischen den Kostenträgern gesorgt. Demnach wurden durch die Urteilsauslegung in der Rechtspraxis Therapieeinrichtungen nach Paragraf 35 BtMG als Einrichtung zum Vollzug der richterlich angeordneten Freiheitsentziehung ausgeschlossen. In der Folge weigerten sich die Kostenträger für die Therapie statt Strafe nach Paragraf 35 BtMG aufzukommen. Dadurch war den Gefangenen eine Vermittlung in eine notwendige Therapie die letzten Jahre vielerorts faktisch unmöglich.

Der Bundesrat hat nun einen Antrag aus NRW beschlossen, der hier eine wichtige Regelungslücke schließen könnte. Die Bundesratsinitiative stellt klar, dass bei Zurückstellung der Strafvollstreckung wegen einer Drogentherapie nach Paragraf 35 BtMG der Anspruch auf Kostenübernahme gewährleistet ist und macht einen ganz konkreten Vorschlag, wie das gesetzlich rechtssicher formuliert werden sollte.

Ich begrüße die NRW-Initiative ausdrücklich und werde mich dafür stark machen, dass der Bundestag als Gesetzgeber sie aufgreift und auf den Weg zu bringt.

Denn es ist mir ein wichtiges Anliegen, auch für Menschen mit Suchterkrankungen in Haft eine gute Versorgung zu sichern. Auch setze ich mich dafür ein, den Paragrafen 35 BtMG für Menschen zu öffnen, die von Substanzen abhängig sind, welche nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Das betrifft zum Beispiel Alkohol, in Kürze voraussichtlich auch Cannabis.

Rede: Bessere Behandlung von Suchtkranken in Haft

Rede: Bessere Behandlung von Suchtkranken in Haft

In der gestrigen Bundestagsdebatte habe ich unterstrichen, dass Sucht in Haft ein Problem ist und bleiben wird. Doch statt die Standards der Behandlung abzusenken – was die Union in ihrem Antrag fordert, mit dem sie mehr Suchtkranke in den regulären Haftanstalten unterbringen will statt im Maßregelvollzug – müssen wir vielmehr im Gesamtsystem Haft die Suchtkrankenbehandlung verbessern. Das geht nur zusammen mit den Ländern. Und als Grundsatz muss weiter gelten: Therapie statt Strafe.