Viele Leaks zu vorläufigen Koalitionsvereinbarungen zwischen Union und SPD erblickten letzte Woche das Licht der Welt, auch zum Thema Umwelt- und Naturschutz. Dabei werden unter dem Stichwort Meeresschutz immerhin Munitionsbergung und nachhaltige Fischerei als Ziele genannt. Doch Küsten- und Hochwasserschutz sucht man in dem Papier vergeblich. Das ist ein fataler Fehler!
Warum ist das so und wie müsste ein wirklich nachhaltiger zukunftsgewandter Schutz der Küsten aussehen?
Die Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 ist tief eingebrannt in das Gedächtnis der Bevölkerung in Norddeutschland. Mit 130 Stundenkilometern löste der Orkan „Vincinette“ die folgenreichste Sturmflut an der Nordsee seit Beginn der Wasserstandsaufzeichnungen aus, die neben Schleswig-Holstein und Niedersachsen ganz besonders auch Hamburg traf. Trotz Sturmflutwarnung wurden viele Menschen damals vom Hochwasser wortwörtlich im Schlaf überrascht. Bis in die frühen Morgenstunden brachen fast alle Deiche und Dämme mit gravierenden Folgen: 315 Tote, 20.000 Obdachlose, zahlreiche zerstörte oder schwer beschädigte Wohnungen sowie kaputte Infrastruktur.
63 Jahre nach dieser schrecklichen Naturkatastrophe ist die Gefahr ähnlicher Extremwetterereignisse nicht gebannt, im Gegenteil: Infolge des anthropogenen Klimawandels dehnt sich nicht nur das Wasser in unseren Meeren und Ozeanen aus, sondern auch die Gletscher und Eisschilde schmelzen immer weiter ab, was unter anderem zu einem globalen Anstieg des Meeresspiegels führt. Dadurch treten Extremwetterereignisse wie Sturmfluten, Starkregen oder aber auch Dürren häufiger und heftiger auf. Nicht zuletzt haben uns die Flut in Spanien im Herbst 2024 oder aber auch die schwere Flut im Herbst 2023 an der Ostseeküste dies deutlich vor Augen geführt.
Daher ist die kommende Bundesregierung dringend gefordert, sich dieser immensen Herausforderung zu stellen und in enger Kooperation mit den Küstenländern den Küsten- und Hochwasserschutz zukunftsfest aufzustellen. Konventioneller und natürlicher Küsten- und Hochwasserschutz müssen dabei künftig stärker zusammengedacht werden. Ein schlichtes Weiterso ist weder finanziell noch ökologisch nachhaltig. Bereits jetzt stößt der konventionelle Küstenschutz mit dem Fokus auf Deicherhöhung und -verbreiterung, ständigen Sandaufspülungen sowie technische Entwässerung an logistische und finanzielle Grenzen und ist ökologisch nur bedingt nachhaltig.
Die immensen Schäden der Sturmflut von 1962 waren ein folgenschwerer Stresstest für die damaligen Schutzanlagen. Infolgedessen wurde eine komplett neue, fast durchgehenden Hochwasserschutzlinie von ca. 100 Kilometern und mindestens 7,20 Meter über Normalnull gebaut. Seit 1990 werden die Schutzanlagen stetig modernisiert und erhöht, aktuell mit einer Deichhöhe von 7,50 bis 9,25 Metern über Normalnull. Ein Erfolg: Zwar gab es seither weitere Sturmfluten, die sogar noch höher ausfielen, jedoch ohne vergleichbare Schäden.
Die nahezu geschlossene Deichlinie bietet derzeit zwar ein hohes Schutzniveau vor Sturmfluten, allerdings können und dürfen wir uns darauf nicht ausruhen: Je höher der mittlere Meeresspiegel steigt, umso häufiger und heftiger treten Extremwetterereignisse wie Sturmfluten auf. Infolge der globalen Erwärmung steigt der Meeresspiegel immer weiter an – schätzungsweise bis zu 1,20 Metern bis zum Ende des Jahrhunderts, wenn wir unsere Treibhausgasemissionen unverändert lassen. In der Deutschen Bucht könnte dies dazu führen, dass Sturmfluten bis zu 1,50 Metern höher ausfallen als heute – dementsprechend wäre auch eine viel größere Fläche zu schützen.
Dieser Umstand setzt unsere Schutzanlage einem immer höheren Anpassungsdruck aus – mit enormen finanziellen und ökologischen Kosten. Vielerorts fehlen nicht nur Sand, Klei und die zusätzlich benötigte Fläche, sondern auch der Untergrund kann die zusätzliche Last durch die kontinuierliche Erhöhung und Verbreiterung nicht ohne Weiteres tragen kann.
Deiche bieten für das Land dahinter zwar sichtbar Schutz vor Sturmfluten, beanspruchen allerdings auch viel Fläche, die dann fehlt, damit die Wassermassen auslaufen und Energie abbauen können. Dadurch staut sich das Wasser auch verstärkt in den Marschgebieten vor den Deichen auf. Um diese zu entwässern, müssen die Deichanlagen mit umfangreichen Grabensystemen und Sieltoren ergänzt werden. Doch vielfach reichen die bisherigen Siele nicht mehr und es müssen zunehmend energieaufwändige Pumpen zur Entwässerung eingesetzt werden.
Das durch den gestiegenen Meeresspiegel entstandene „umgekehrte Gefälle“ erhöht zudem den Druck des Salzwassers auf die Grundwasserschichten. Infolge des Abpumpens des oberflächennahen Süßwassers durch die Entwässerung dringt mehr Salzwasser in die Süßwasserschichten ein, wodurch unser Grundwasser zunehmend versalzt und damit ungenießbar wird.
Alles in allem ist ein schlichtes Weiterso des Küsten- und Hochwasserschutzes weder finanziell noch ökologisch nachhaltig. Bereits jetzt stößt die aktuelle Praxis an technische wie auch finanzielle Grenzen. Mit steigenden Pegeln werden immer höhere Deichaufstockungen notwendig sein, als dies mit Blick auf die Tragfähigkeit des Untergrundes möglich ist. Daher muss guter Küsten- und Hochwasserschutz Naturschutz klug mitdenken und Synergien schaffen, um langfristig zu funktionieren.
Das heißt ganz konkret: In der Klimaanpassungsstrategie müssen insbesondere die natürlichen Küsten- und Hochwasserschutzfunktionen unserer marinen sowie küsten- und flussnahen Ökosysteme wie Moore, Auen, Riffe, Salzmarschen und Seegraswiesen stärker einbezogen werden, indem wir diese schützen, fördern und vor allem wiederherstellen.
Infolge ihrer systematischen Vernachlässigung und Umgestaltung für wasserbauliche und landwirtschaftliche Nutzungen sind bereits jetzt die Ökosystemleistungen dieser wichtigen Biotope deutlich beeinträchtigt oder sogar unwiderruflich zerstört worden. So sind viele einstige Salzwiesen an den deutschen Küsten eingedeicht oder für landwirtschaftliche Zwecke umgestaltet und dadurch entwässert worden. Allein an der Ostseeküste wurden im vergangenen Jahrhundert 95% der Salzwiesen eingedeicht. Dabei bieten Salzwiesen eine Pufferzone zwischen Land und Meer und schützen vor Sturmfluten und Hochwasser, indem sie die Wellen effektiv ausbremsen. Sie sind zudem auch hochproduktive Kohlenstoffsenken, die um ein Vielfaches schneller Kohlenstoff speichern können als ein Wald. Viele der entwässerten Gebiete haben ursprünglich Moorböden. Durch die vielen trockengelegten Moore fehlen uns nicht nur wichtige Kohlenstoffspeicher, sondern auch viele Insekten und Brutvögel verlieren zudem ihren Lebensraum.
Als hochproduktive natürliche Kohlenstoffsenken und ausgezeichnete Wellenbrecher gelten auch Seegraswiesen. Ihr tiefreichendes Wurzelwerk ist eine natürliche Kohlenstofflagerstätte, die gleichzeitig den Meeresboden stabilisieren und damit vor Hochwasser und Überschwemmungen schützen kann. Schätzungsweise können dichte Seegraswiesen Wellen und Meeresströmungen um 25 bis 45 Prozent dämpfen, bevor diese die Küsten erreichen. Durch die Anhäufung von Sediment bieten sie zudem kontinuierlichen Schutz vor steigenden Meeresspiegeln. Leider sind auch die Seegraswiesenbestände an den deutschen Küsten stark geschrumpft – vor allem durch Nährstoffeinträge. Obwohl leichte Verbesserung zu verzeichnen sind, sind die Ostsee und 87% der Nordsee überdüngt – vor allem in den Mündungsgebieten der deutschen Flüsse.
Im Kampf gegen Hochwasser und Dürreperioden gehören auch Auen zu den Schlüsselakteuren. Bei Hochwasser nehmen sie das Wasser auf und in Trockenperioden geben sie es nach und nach wieder an die Landschaft ab. Zudem lagern sie ebenfalls viel Kohlenstoff und bieten Lebensraum für viele Arten. Allerdings sind in Deutschland zwei Drittel der Überschwemmungsgebiete verloren gegangen, entlang großer Flüsse sind in vielen Abschnitten teilweise nur noch 10-20% der ehemaligen Auen vorhanden.
Wenn wir all diese Ökosysteme künftig besser schützen bzw. auch wiederherstellen, leisten wir zeitgleich zum Hochwasser- und Küstenschutz einen wichtigen Beitrag zum Klima- und Naturschutz. Denn dadurch wird zudem Kohlenstoff der Atmosphäre entzogen und die vielen marinen wie auch terrestrischen Tier- und Pflanzenarten bekommen wieder einen gesunden Lebensraum zur Verfügung gestellt.
Unsere marinen sowie küsten- und flussnahen Ökosysteme zu schützen und wiederherzustellen, sollte unser vorrangig erklärtes Ziel sein, im Sinne des Klima- und Hochwasserschutzes! Dabei muss und darf der natürliche Küsten- und Hochwasserschutz die technischen Maßnahmen nicht unbedingt ersetzen, sondern vielmehr sinnvoll ergänzen. Beispielsweise können Deiche rückverlegt und durch die Wiederherstellung von Salz- und Seegraswiesen im Deichvorland ökologisch aufgewertet werden. Die Bepflanzung der Hohlräume von Deckwerken kann ebenfalls neue Lebensräume für verschiedene Pflanzen- und Tierarten schaffen. Auch die Wiederherstellung von Riffen schafft nicht nur neue Lebens- und Rückzugsräume für verschiedene Arten, sondern kann auch den natürlichen Küsten- und Hochwasserstutz stärken, da stabile Riffe den Wellengang ausbremsen können.
Mit dem Aktionspragramm Natürlicher Klimaschutz hat die Bundesregierung 2021 bis 2025 unter der Federführung des grünen Umweltministeriums bereits 3,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, mit denen bis 2028 Maßnahmen zur Wiederherstellung sowie für klimafreundliche und naturverträgliche Bewirtschaftungsformen gefördert werden, die auch dem natürlichen Küsten- und Hochwasserschutz zugutekommen. Es muss auch langfristig weitergehen, denn all das zeigt: Klima-, Natur- und Küstenschutz sind gut miteinander vereinbar. Auch der neu geschaffene Meeresnaturschutzfonds der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), der Fördergelder für Renaturierungsprojekte vergeben wird, ist ein wichtiger Schritt, der 2024 eingeschlagen wurde. Nun muss es dringend weitergehen! Die nächste Bundesregierung muss es nur politisch wollen und ermöglichen!
Über Gelder aus dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK) fördert das grün geführte Bundesumweltministerium Meeresschutzprojekte in Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachen. Mit 26 Millionen Euro unterstützt die Bundesregierung den Schutz und die Wiederherstellung von Salzwiesen, Seegraswiesen und Algenwäldern sowie ein ökologisches Sedimentmanagement. Mit diesen Projekten leistet das Ministerium nicht nur echte Pionierarbeit für die Wiederherstellung von kohlenstoffreichen Küstenökosystemen, sondern schafft gleichzeitig auch die Grundlagen für den natürlichen Klimaschutz in unseren Küstengewässern und leistet einen wesentlichen Beitrag zum Schutz und Erhalt der biologischen Vielfalt.
Denn wie zuvor in einem ausführlichen Artikel auf meiner Homepage erläutert, haben gesunde marine und küstennahe Ökosysteme wie Salzmarschen, Seegraswiesen und Algenwälder einen dreifachen Nutzen für Mensch, Natur und Tier:
Sie bieten zahlreichen terrestrischen und marinen Tier- und Pflanzenarten sowohl Schutz als auch Nahrung und sind damit wesentlich für den Erhalt der biologischen Vielfalt.
Gerade im Hinblick auf den steigenden Meeresspiegel infolge des Klimawandels schützen Küstenökosysteme vor Hochwasser und Überschwemmung. Durch ihr teilweise tiefreichendes Wurzelwerk können sie den Meeresboden stabilisieren und damit als Wellenbrecher sowohl Meeresströmungen als auch Sturmfluten ausbremsen und die Küsten vor Erosion schützen. Durch die Anhäufung von Sediment bieten sie zudem kontinuierlichen Schutz vor steigenden Meeresspiegeln.
Vegetationsreiche Küstenökosysteme sind hochproduktive, lebendige Speicherwerke des sogenannten „Blauen Kohlenstoffs“ (eng. Blue Carbon) und können um Vielfaches schneller Kohlenstoff binden als ein Wald an Land. Die oftmals luftdicht abgeschlossenen Kohlenstofflager im Küstensediment können viele Jahrhunderte oder gar Jahrtausende überstehen, solange die sie schützenden Biotope zumindest erhalten bleiben oder – noch besser – wachsen und gedeihen können.
Trotz oder gerade wegen ihrer Mehrfachnutzen wurden viele Küstenökosysteme durch direkte menschliche Eingriffe und Aktivitäten, aber auch durch den menschengemachten Klimawandel stark geschädigt oder irreversibel zerstört. Damit sie ihre Ökosystemleistungen wieder vollumfänglich wahrnehmen und den steigenden Herausforderungen infolge des Klimawandels besser begegnen können, brauchen wir eine Wiederherstellungsoffensive für unseren marinen und küstennahen Lebensräume. Daher freue ich mich besonders, dass in einem eigenen Handlungsfeld zu „Meeren und Küsten“ des ANK die Stärkung dieser wichtigen Lebensräume in den Mittelpunkt gestellt wird.
Die Küstenländer Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen haben in diesem Rahmen bereits 15 Projekte entwickelt. Die ersten acht Projekte können nun starten und werden mit rund 26 Millionen Euro durch das ANK gefördert. Mit dabei ist beispielsweise auch das Projekt „Klimasalzwiese“, mit dem meine Stadt Hamburg Wiederherstellungsoptionen für Salzwiesen im Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer erarbeitet. Mit dem Projekt sollen Lebensräume auf der Insel Neuwerk sowie um die Scharhörnplate untersucht und naturnah entwickelt werden. Eine Übersicht über die Projekte und weitere Infos gibt es hier.
Vergangenen Donnerstag haben wir auf Antrag der Unionsfraktion zum Küstenschutz debattiert. Ich habe dabei deutlich gemacht: Naturschutz ist der beste Hochwasserschutz. Meine ganze Rede seht ihr hier:
Mit der nächsten Sitzungswoche im September beginnt das letzte Jahr der laufenden Legislaturperiode. Auch wenn es manchmal presseöffentlich vielleicht nicht unbedingt so rüberkommt: wir haben in den vergangenen drei Jahren viel auf den Weg gebracht und den Stillstand aus den langen Jahren der Großen Koalition aufgebrochen.
Besonders freue ich mich über unsere Erfolge im Umwelt- und Naturschutz, die ich an dieser Stelle einmal aufführen möchte:
Konkret vor Ort: Das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK)
Gesunde Ökosysteme speichern große Mengen CO2 und leisten so einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Dafür haben wir 3,5 Milliarden Euro bereitgestellt, die ersten Gelder fließen bereits. In Hamburg wird damit z.B. in Sasel ein naturnahes Hochwasserrückhaltesystem finanziert. Ein besonderer Fokus liegt dabei aber auch auf ländlichen Räumen. Viele Kommunen haben Flächen zur Verfügung, die durch ökologische Aufwertung biologische Vielfalt erhalten und Treibhausgase mindern können. Auch Landwirt*innen profitieren vom ANK, z.B. durch Förderung für die Anschaffung bodenschonender Maschinen. Das betrifft z.B. die Bewirtschaftung von Moor- und Mineralböden, sodass durch diese Förderrichtlinie Anreize für eine ökologischere Landwirtschaft gesetzt werden.
Trinkwasser sichern
In Folge des Klimawandels werden Hitze- und Dürreperioden häufiger werden. Wir haben darum die Nationale Wasserstrategie beschlossen, mit der wir uns auf das Wassermanagement der Zukunft vorbereiten. Mit dem zuvor geänderten Wasserhaushaltsgesetz haben wir zudem Städte zur öffentlichen Bereitstellung von Trinkwasser verpflichtet. Im Rahmen der EURO 2024 wurden 51 neue Trinkwasserbrunnen aus dem Etat des Umweltministeriums finanziert, für jedes Turnierspiel eine. Zwei davon wurden auch in Hamburg aufgestellt, und ergänzen damit vier weitere Trinkwasserbrunnen, die von der Hamburger Umweltbehörde finanziert werden. Die Aufstellung und Installation dieser Brunnen erfolgt laufend durch HAMBURG WASSER.
Europäisches Nature Restoration Law
Nach langen Verhandlungen wurde das EU Nature Restoration Law beschlossen. Ein großer Erfolg für den Naturschutz: Mit ambitionierten Zielen sollen bis 2050 90 Prozent der geschädigten Ökosysteme wiederhergestellt werden. Das gilt für Ökosysteme an Land (Wälder, Böden) aber z.B. auch für Seegraswiesen und Salzmarschen im Meer. Ein großer Erfolg auf europäischer Ebene, der aber auch dem engagierten Einsatz unserer grünen Umweltministerin Steffi Lemke zu verdanken ist. Jetzt gilt es, das Gesetz auf nationaler Ebene umzusetzen, mit dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz und einem nationalen Wiederherstellungsgesetz.
Reaktion auf das Fischsterben in der Oder
Im Sommer 2022 waren viele von uns erschüttert über das Fischsterben in der Oder. Als Reaktion hat das BMUV ein breites Sonderforschungsvorhaben an das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Höhe von 4,8 Millionen Euro vergeben. Dieses wird die ökologischen Schäden im Flussökosystem dokumentieren und den Zustand der Oder überwachen. Daraus werden Revitalisierungsmaßnahmen entwickelt, um die zukünftige Widerstandskraft des Fluss-Auen-Ökosystems zu entwickeln.
Grundwassermodell Lausitz
Mit dem Kohleausstieg und dem Ende des Braunkohleabbaus in der Lausitz verändert sich auch der Wasserhaushalt in den betroffenen Regionen. Mit dem Simulationsmodell „Grundwassermodell Lausitz“ wird ein nachhaltiges Wassermanagement und die Wiederherstellung des natürlichen Wasserhaushalts in der Lausitz vorbereitet. Das Projekt wird vom Bund gemeinsam mit Brandenburg und Sachsen finanziert.
Der Regen der letzten Wochen hat die Grundwasserspeicher gefüllt. Trotzdem mahne ich im Interview mit der Zeitung „Das Parlament“ an, das Grundwasser besser zu schützen. Böden müssen mehr entsiegelt werden.
Hier das komplette Interview zum Nachlesen:
Frau Heitmann, die Bundesregierung hat im März 2023 die Nationale Wasserstrategie beschlossen, um angesichts zunehmender Dürren und Hochwasser die Verfügbarkeit von Trinkwasser langfristig zu sichern. Sie enthält ein Aktionsprogramm mit 78 konkreten Maßnahmen, wie etwa die Renaturierung von Flüssen, die Entsiegelung von Flächen und die Ertüchtigung der Wasserinfrastruktur. Was die Umsetzung betrifft, hat man seither nicht viel gehört. Warum?
Linda Heitmann: Die Umsetzung ist oft vor allem Verwaltungshandeln, von dem man tatsächlich öffentlich nicht viel mitbekommt. Aber hinter den Kulissen läuft einiges. So treffen sich regelmäßig die Fachleute von Bund und Ländern, um Maßnahmen abzustimmen, die vordringlich angegangen werden sollen – wie etwa ein bundesweites Grundwassermonitoring. Ziel ist es, Neubildung und Entnahme von Grundwasser besser als jetzt im Blick zu haben.
Wäre es nicht wichtig, schneller ins Handeln zu kommen? Auch wenn es zuletzt viel geregnet hat, gehört Deutschland doch zu den Ländern, deren Grundwasserspeicher zuletzt stark geschrumpft waren.
Linda Heitmann: Ja, der Rückgang des Grundwassers war besorgniserregend. Aber aus meiner Sicht widerspricht es sich nicht, Pläne zu machen und bereits erste Maßnahmen umzusetzen. Und das passiert längst.
Um welche Maßnahmen geht es?
Linda Heitmann: Mit dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz, für das 3,5 Milliarden Euro bis 2027 zur Verfügung stehen, werden schon jetzt Projekte zur Wiedervernässung von Mooren und Renaturierung von Flussauen finanziell unterstützt. Auch Maßnahmen zur Verringerung von Schadstoffeinträgen in Gewässer, etwa durch die Ausstattung von Klärwerken mit einer vierten Klärstufe, laufen.
Diese braucht es, weil das Abwasser verstärkt mit Medikamentenrückständen, Hormonen und Mikroplastik belastet ist, welche die meisten Kläranlagen nicht herausfiltern können. Nach der neugefassten EU-Abwasserrichtline sollen bis 2035 zunächst alle großen Kläranlagen eine solche vierte Klärstufe bekommen.
Linda Heitmann: Wir wollen aber auch Kläranlagen entlasten, indem wir leicht verschmutztes Grauwasser als Brauchwasser nutzen. Das hilft auch, Trinkwasser einzusparen. Wie das funktionieren kann, testet meine Heimatstadt Hamburg gerade in einem Wasserrecycling-Projekt. In den Haushalten eines neuen Wohnviertels, der Jenfelder Au, wird Wasser vom Duschen, Spülen oder Wäschewaschen vom sogenannten Schwarzwasser aus der Toilette getrennt, vor Ort wieder gereinigt und erneut verwendet: zum Beispiel für die Toilettenspülung, die Gartenbewässerung oder als Brauchwasser in Gewerbe und Landwirtschaft.
Wie viel Wasser kann denn so eingespart werden?
Linda Heitmann: Fast 30 Prozent des täglichen Trinkwasserverbrauchs entfallen auf die Toilettenspülung. Hinzu kommt das, was sonst für die Gartenbewässerung genutzt würde. Solche Konzepte können kommunalen Wasserversorgern bei Nutzungskonflikten helfen.
Genau für solche Nutzungskonflikte mit Industrie und Landwirtschaft fordert der Deutsche Städtetag Leitlinien. Auch die Wasserstrategie sieht die Erarbeitung solcher Leitlinien vor. Gibt es sie bereits?
Linda Heitmann: Fachleute der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser erarbeiten sie derzeit. Wie brisant Wassernutzungskonflikte werden können, habe ich in Spanien gesehen. Illegale Brunnenbohrungen zur Bewässerung von Erdbeerplantagen bedrohten ein Naturschutzgebiet – und lösten einen großen politischen Streit aus.
Auch bei uns nehmen Wasserkonflikte zu: Die um Tesla und Coca-Cola sind prominent. Wie helfen hier Leitlinien?
Linda Heitmann: Sie sollen ein Leitfaden für Behörden sein, die bei Wasserknappheit entscheiden müssen, wer vorrangig Wasser nutzen darf.
Und wer sollte das sein?
Linda Heitmann: Aus meiner Sicht, und so steht es auch in der Nationalen Wasserstrategie, muss die öffentliche Trinkwasserversorgung Priorität haben. Wasser ist schließlich unser wichtigstes Lebensmittel.
Die besondere Bedeutung der Trinkwasserversorgung wird dort zwar betont, aber ebenso die Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung. Müsste der Vorrang der öffentlichen Trinkwasserversorgung nicht klarer formuliert werden?
Linda Heitmann: Ich finde es richtig, die Lebensmittelproduktion mit hoher Priorität zu behandeln, denn natürlich ist sie notwendig – und notwendiger als andere Industriegüter. Was als Lebensmittel gilt, muss man sich aber genau ansehen und abwägen.
Die Bundesländer erheben unterschiedlich hohe Entgelte für Wasser aus dem Grund oder aus Flüssen und Seen. In Hessen, Bayern und Baden-Württemberg müssen Industrie und Landwirtschaft gar nichts für die Entnahme von Wasser zahlen. Sollte Wasser nicht überall in Deutschland gleich viel kosten?
Linda Heitmann: Ich halte einheitliche Wasserentgelte für sinnvoll, damit Unternehmen sich nicht ihren Standort danach aussuchen, wo das Wasser am günstigsten ist. Wir sollten einen Standortwettbewerb auf Kosten der Umwelt unbedingt vermeiden.
Screenshot von das-parlament.de
Die Bundesregierung hat angekündigt, eine einheitliche Regelung zu prüfen. Gibt es schon ein Ergebnis?
Linda Heitmann: Die Verhandlungen in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe laufen. Und es ist auch nachvollziehbar, dass dies nicht öffentlich, sondern intern passiert.
Umweltverbände fordern, Wasser zu verteuern, um einen Sparanreiz zu setzen. Mehreinnahmen könnten für die Wiederherstellung von Flüssen genutzt werden, von denen nur acht Prozent in einem guten Zustand sind.
Linda Heitmann: Mit Entnahmeentgelten und der neugefassten EU-Abwasserrichtlinie, die erstmalig eine Herstellerverantwortung einführt, werden einige Nutzer künftig zusätzlich zur Kasse gebeten. Ich würde den Sparanreiz aber nicht überschätzen. Mit Geld lässt sich zudem nur begrenzt Schaden wieder gutmachen. Unser Hauptaugenmerk sollte sein, unsere Gewässer wirklich zu schützen. Deswegen arbeiten wir an politischen Maßnahmen wie dem Düngegesetz und der EU-Düngeverordnung, um den Schadstoffeintrag durch die massive Düngung auf landwirtschaftlichen Flächen von vorneherein zu reduzieren.
Das Düngesetz ist im Bundesrat gerade gescheitert – und damit die geplante Neuregelung für einen besseren Schutz des Grundwassers. Wie ist Ihre Reaktion?
Linda Heitmann: Es ärgert mich, dass einzelne Bundesländer auf Kosten der Wasserreinheit und der Gesundheit aller politische Spielchen spielen. Durch die Blockade im Bundesrat drohen uns nun die Wiederaufnahme des EU-Vertragsverletzungsverfahren und hohe Strafzahlungen.
Die Wasserstrategie sieht die Förderung von „Schwammstädten“ vor, in denen Regenwasser in Zisternen gespeichert oder im Boden versickern kann, anstatt direkt mit dem Abwasser entsorgt zu werden. Ein solcher Stadtumbau verursacht aber Kosten – und Konflikte, weil durch Entsiegelung Flächen verloren gehen. Braucht es bundesweite gesetzliche Vorgaben, die „Wasserversorgungsvorhaben“ Priorität einräumen?
Linda Heitmann: Jedenfalls müssen wir mit Förderprogrammen die nötigen Anreize setzen. Wir sehen überall die Nutzungskonflikte: Wohnungsbau, Gewerbe, Verkehr, Landwirtschaft und Naturschutz konkurrieren um Flächen. Es braucht hier eine Priorisierung für Entsiegelung, denn Wasser ist unsere Lebensgrundlage. Damit sich genügend im Grund neu bilden kann, muss so viel Regen wie möglich versickern können.