Recap: So war unser Grüner Verbraucherkongress

Recap: So war unser Grüner Verbraucherkongress

Grün, digital und fair – so soll die kommende EU-Verbraucheragenda aussehen. Am 12. März wurde unser Thesenpapier auf einer hybriden Abendveranstaltung im Europäischen Haus der EU-Kommission am Pariser Platz vorgestellt und mit hochkarätigen Gästen aus der verbraucherpolitischen Szene diskutiert.

Zu Beginn begrüßte die Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann die rund 80 Gäste vor Ort und warf einen Blick zurück zur Consumer Bill of Rights, die bereits der amerikanische Präsident in den sechziger Jahren vor dem US-Kongress erlassen hatte um grundlegende Verbraucher*innenrechte zu proklamieren.  Mit der in 2023 verabschiedeten Verbandsklage für Verbraucher*innen hat die Grüne Fraktion mit der Ampel einen großen Erfolg errungen.

Im Anschluss gab unsere Grüne Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke eine politische Einordnung. Aus ihrer Sicht sind drei Themenkomplexe zentral für die künftige EU-Verbraucherpolitik. Das sind Verbraucherrechte im digitalen Raum, umweltpolitische Aspekte der Verbraucherpolitik und soziale Aspekte der Verbraucherpolitik.

Keynote des Abends war Ferda Atamann, die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, die einen Impuls zu „Verbraucherschutz ist auch Diskriminierungsschutz“ gab. Darin zog sie Vergleiche zwischen den beiden Politikfeldern. Im Bereich der Rechtsdurchsetzung könne die Antidiskriminierung noch viel von der Verbraucherpolitik lernen. Wichtig sei aber, dass Verbraucherpolitik, Antidiskriminierung immer mitdenke und auch in Verbraucherrecht verankere.

Aus Brüssel sendete Didier Reynders, EU-Kommissar für Justiz und Verbraucherschutz eine Videobotschaft. Er begrüßte die Veranstaltung und bedankte sich für die Empfehlungen zur Agenda aus Deutschland.

Kernstück und Highlight des Abends war die Vorstellung unseres ThesenpapiersUnsere Grüne Vision einer EU-Verbraucheragenda von 2025- 2030“ . Darin heben wir die große Bedeutung europäischer Politik für den Alltag der Menschen hervor. Verbraucher*innen in Europa sind seit Jahren im Krisenmodus: Die Klima-Krise, geopolitische Zerwürfnisse und Kriege führen unter anderem zu hohen Lebenshaltungskosten und damit einer „Cost of living Crisis“. Hinzu kommt ein starker Vertrauensverlust in die Politik und staatliche Institutionen. Der Zugang zu Daseinsvorsorge wie bezahlbarer Wohnraum, Energie und Mobilität, die bisher als selbstverständlich erschienen, muss neu verhandelt und zurückerobert werden. Verbraucherpolitik bietet hier die Möglichkeit, den Binnenmarkt aus Bürgerperspektive zu denken. Die kommende EU-Verbraucheragenda ist das zentrale Element für die Verbraucherpolitik der Zukunft. Aus Sicht der beiden sind die Themen Twin Transition (gleichzeitiger Übergang zu einer nachhaltigeren und digitaleren Wirtschaftsweise) und besondere verletzliche Verbrauchergruppen wichtige Zukunftsthemen derer sich die Kommission annehmen sollte. 

„Keep it simple for consumers“: Verbraucherpolitik muss den Alltag und das Leben der Menschen leichter machen. Verbraucherpolitik sollte daher eine Vereinfachungsoffensive starten. Dabei kann die Digitalisierung – bei allen Herausforderungen, die sie selbst für Verbraucher*innen mitbringt – ein Treiber sein. Umso wichtiger, ist dass die Werkseinstellung der „digitalen Konsumwelt“ fair by design & default – also eine Voreinstellung ist. Die Herausforderungen für die Jahre 2025 bis 2030 liegen darin, die grüne und digitale Transformation des Verbraucheralltags weiter voranzubringen. Damit alle Verbraucher*innen bei nachhaltigen Konsummustern mitgenommen werden, müssen wir einerseits faire Rahmenbedingungen schon bei der Produktion schaffen und andererseits auch eine soziale Abfederung gewährleisten. Soziale Gerechtigkeit muss horizontal mitgedacht und als Querschnittsaufgabe verankert werden.

Zu den Empfehlungen an die EU-Kommission gehört das Verbraucherleitbild des EU-Wettbewerbsrecht zu überarbeiten, da es ist nicht mehr zeitgemäß für die digitale Welt und für besondere vulnerable Verbrauchergruppen ist. Zudem solle das Informationsparadigma überdacht werden, da mehr Informationspflichten nicht zu mehr Informiertheit führen.

In drei Powertalks mit Gästen, wurde die EU-Verbraucheragenda der Zukunft diskutiert. Tabea Rößners diskutierte mit Jan-Philipp Albrecht, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung und als ehemaliger Grüner Europaabgeordneter seinerzeit Berichterstatter für die Datenschutzgrundverordnung und Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur und somit zuständig für den behördlichen Verbraucherschutz das Thema Twin Transition. Albrecht betonte die Bedeutung der Verbraucherrechtsdurchsetzung. In vielen Fällen sei das bestehende Verbraucherrecht, wie die Datenschutzgrundverordnung noch nicht ausgeschöpft worden. Müller hingegen skizzierte seine Vision der Durchsetzung der anstehenden Digitalgesetze wie dem Digital Services Act in Deutschland.

Um nachhaltigen Konsum zu fördern, sollten auch Plattformen ordnungspolitische Regeln auferlegt werden. Das bewährte Instrument des Ökodesign (ESPR) sollte auf weitere Produktgruppen ausgeweitet und parallel dazu auf die Vertriebswege anwendbar gemacht werden. Über delegierte Rechtsakte der ESPR sollte geprüft werden, inwiefern auch Onlinemarktplätze in die Pflicht genommen werden können, im Nutzerdesign ein Angebot nachhaltiger Produkte für Verbraucher*innen über z.B. Filter sichtbar machen zu müssen.

Ich habe mich in meinem Powertalk den besonders verletzlichen Verbraucher*innen. Damit sind Bezieher von Sozialleistungen, Angehörige bildungsferner Schichten, ältere Menschen, Kinder und Jugendliche oder Menschen mit Sprachbarrieren wie Zugewanderte gemeint, die vor besonders großen Herausforderungen im Verbraucheralltag stehen und große Benachteiligungen erfahren. Unterschiedliche soziodemographische Merkmale, Verhaltensmerkmale, Lebensverhältnisse, kulturelle Hintergründe und Fähigkeiten führen dazu, dass sie häufig im Abseits der Verbraucherpolitik- und des Alltags stehen. Daher sind sie gefährdeter, negative Folgen bestimmter (insbesondere auch digitaler) Marktpraktiken zu erfahren und sind besonders auf staatlichen Verbraucherschutz angewiesen. Der Schutz verletzlicher Verbraucher*innen sollte laut Heitmann in europäischen Verbraucherrecht verankert werden, damit die Mitgliedsstaaten daraus einen Handlungsauftrag ableiten. Eine EU-Strategie für besondere verletzliche Verbrauchergruppen sollte Jugendliche, Ältere und Menschen mit Sprachbarrieren in den Mittelpunkt stellen. In der Praxis haben sich zum Beispiel Projekte des aufsuchenden Verbraucherschutzes in Quartieren bewährt, wo die Hilfe direkt zu den Menschen kommt. Von diesen berichtete auch Doreen Denstädt, Thüringer Ministerin für Migration, Justiz und Verbraucherschutz. Sie zeigte auch, wie durch mehrsprachige Verbraucherbroschüren Zielgruppen wie Migranten angesprochen werden können. Ramona Pop Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) teilte die Einschätzung Linda Heitmanns zur besonderen Schutzbedürftigkeit von verletzlichen Verbrauchergruppen. Zudem würden davon auch die durchschnittlichen Verbraucher*innen erfasst werden.

Im dritten Powertalk diskutierte Stefan Schmidt, in der Fraktion zuständig für finanziellen Verbraucherschutz mit Dorothea Mohn, Teamleiterin Finanzmarkt beim vzbv über die Finanzthemen der Zukunft. Von der Bedeutung der Kleinanlegerstrategie, die ein Provisionsverbot enthalten müsse, über den Erhalt des Bargelds bei verbraucherfreundlicher Ausgestaltung des digitalen Euros und der Wichtigkeit einfacher und passgenauer Finanzprodukte.

Zum Schluss schaltete sich noch Anna Cavazzini, Mitglied des europäischen Parlaments und Vorsitzende des Binnenmarkt Ausschuss aus Straßburg hinzu und kommentierte den Abend aus dem Epizentrum des europäischen Parlaments. Gute Verbraucherpolitik nehme auch (Rechts)Populisten die Argumente und stärke das Verbraucher*innenvertrauen in die Institutionen, wenn der Alltag der Verbraucher*innen sicherer und einfacher und ihre Rechte schneller durchgesetzt werden.

Die Grüne Bundestagsfraktion wird den Prozess rund um die kommende EU-Verbraucheragenda 2025-2030 eng begleiten. Eine starke Grüne EP-Fraktion mit vielen Grüne Europaabgeordnete kann deren ambitionierte Umsetzung befördern.

Unterwegs in Brüssel für Umwelt & Verbraucher

Unterwegs in Brüssel für Umwelt & Verbraucher

Was steht in der Europäischen Union in Sachen Umwelt- und Verbraucherschutz aktuell auf der Agenda und wann werden wir welche Richtlinien in Deutschland gesetzlich umsetzen?

Diese Leitfragen standen im Vordergrund, als die Mitglieder der grünen AG Umwelt & Verbraucherschutz vom 14. bis 16. November in Brüssel zu Gast waren, um sich in zahlreichen Terminen und Gesprächen über die dortige Arbeit zu informieren.

Von der Ökodesignrichtlinie über „GreenClaims“ bis hin zur „Verbraucherkreditrichtlinie“ reichten dabei die Themen, die bei mir als Verbraucherschutzpolitikerin immer wieder im Vordergrund der Diskussionen standen.



Termine gab es dabei im Einzel- und im Gruppensetting. Es hat mich gefreut zu erfahren, dass etwa die europäische Verbraucherschutzorganisation BEUC dabei ähnliche politische Erwartungen an kommende Gesetze formuliert wie auch Vertreter*innen der Kommission oder meine Kollegin Anna Cavazzini im Europäischen Parlament.

Insbesondere im Termin mit BEUC zur Verbraucherkreditrichtlinie wurde deutlich, an welchen Punkten wir voraussichtlich auch im Deutschen Recht einzelne Vorschriften noch werden spezifizieren können, da die Richtlinie kurz vor dem Abschluss steht und Formulierungen schon sehr absehbar sind. So wird es z.B. vermutlich möglich sein, Werbung für Kleinkredite künftig so zu regulieren, dass sie sich nicht mehr an Verbraucher*innen richten darf, die von Überschuldung bedroht sind.

Bei anderen Vorhaben wie dem „Recht auf Reparatur“ oder der „Green Claims Verordnung“ sind spezifische nationalrechtliche Regelungsmöglichkeiten noch nicht ganz so konkret absehbar – hier waren die Fragestellungen in den Gesprächen häufig eher, ob die Vorhaben in dieser Legislatur des europäischen Parlaments überhaupt noch zum Abschluss kommen und wann sie in Deutschland dann wohl greifen.

Insgesamt konnten wohl alle Mitglieder der AG Umwelt und Verbraucherschutz für sich und ihre politischen Vorhaben in Berlin einiges aus Brüssel mitnehmen, sich mit wichtigen Akteur*innen neu vernetzen und: Wir kommen wieder, keine Frage! Denn Europa gibt in vielen Fragen den Takt vor – gerade, wenn es um Umwelt- und Verbraucherschutz geht.