Heute habe ich in einer namentlichen Abstimmung dem Sondervermögen für die Bundeswehr zugestimmt und muss ehrlich sagen, dass es in meiner bisherigen Zeit als Abgeordnete die Abstimmung war, bei der mir Entscheidungsfindung und auch Abstimmung selbst wohl am schwersten gefallen sind.
Und dabei liegen meine Gewissensbisse und mein Hadern nicht an der Konstruktion des Sondervermögens an sich. Ich glaube viel mehr, dass die Auslagerung der Ausgaben zur Ausstattung der Bundeswehr uns im regulären Haushaltsplan wichtige Spielräume gibt – gerade auch für die so wichtigen Sozialausgaben und -projekte, auf die wir als Ampel uns verständigt haben. Zudem eröffnet das Sondervermögen dem Haushaltsausschuss größere Spielräume, alle einzelnen daraus finanzierten Posten besser zu überwachen und auch zu beeinflussen, als wenn die Ausgaben Teil des regulären Haushaltes wären.
Dass wir als Grüne uns in den Verhandlungen nicht damit durchsetzen konnten, die Ausgaben des Sondervermögens mit einem erweiterten Sicherheitsbegriff zu hinterlegen und die Ausarbeitung und Umsetzung einer Cybersicherheitsstrategie daraus zu finanzieren – ja, das hat mich enttäuscht. Denn aus meiner Sicht werden wir trotzdem in Cybersicherheit investieren müssen, weil Cyberangriffe auf unsere kritische Infrastruktur eine sehr große reale Gefahr sind. Und die Ausgaben dafür werden wir jetzt aus dem regulären Haushalt nehmen müssen, das schränkt uns dort leider auch im sozialen Bereich ein. Deshalb hätte ich mir hier ein anderes Ergebnis der Verhandlungen gewünscht.
Nichtsdestotrotz musste ich mir in den letzten Wochen und Monaten leider eingestehen, dass wir auch jenseits von Cybersicherheit große Investitionen in die Ausstattung unserer Bundeswehr einfach brauchen, um weltweit als verlässlicher Bündnis- und Verhandlungspartner wahrgenommen zu werden und damit auch Frieden zu sichern und hoffentlich eine Ausweitung dieses furchtbaren Angriffskrieges in der Ukraine auf andere Länder und Regionen langfristig zu verhindern. Deshalb stimme ich für das Sondervermögen!
Gleichwohl fällt mir die Entscheidung heute aus einem einzigen recht simplen Grund sehr schwer: ich stimme hier dafür, sehr viel Geld für die Anschaffung von Waffen auszugeben, die darauf ausgelegt sind, Menschen zu töten. Ich finde, das lässt sich nicht beschönigen. Es widerstrebt mir im Innersten, dass es solche Waffen auf unserer Welt überhaupt seit Jahrhunderten gibt. Wie bei Unternehmen wie Heckler&Koch oder Rheinmetall die Sektkorken geknallt haben, als Olaf Scholz seine „Zeitenwende“-Rede in unserer Sondersitzung Ende Februar hielt, male ich mir nur ungern aus.
Aber dass es offenbar auch heute noch den Besitz schwerer Waffen in einem großen und global agierenden Land wie Deutschland braucht, um zu verhindern, dass von anderen Akteuren noch schwerere Waffen eingesetzt werden – diese Erkenntnis muss ich für mich leider akzeptieren.
Kurz und gut: ich hätte mir sehr gewünscht, die heute getroffene Entscheidung für den Kauf großer Mengen von Militärausstattung nie treffen zu müssen. Doch leider hat insbesondere Wladimir Putin durch seinen brutalen und nicht zu rechtfertigenden Angriffskrieg dafür gesorgt, dass wir als Bundestag dazu heute diese Entscheidung treffen.
Vom 18. bis 19. Mai ist eine Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern aus meinem Wahlkreis Hamburg-Altona mit einer sogenannten Infofahrt des Bundespresseamts nach Berlin gefahren.
Hier ein Bericht der Reisegruppe:
Morgens am Bahnhof Altona getroffen, ging es mit den Zug nach Berlin. Dort angekommen, wurde die Gruppe von einer Reiseleiterin des Besuchsdiensts in Empfang genommen und es ging mit dem Bus durch die Hauptstadt. Der erste große Stopp war der Gesprächstermin beim Auswärtigen Amt. Hier lauschte die Gruppe einem Diplomaten und konnte ihre Fragen loswerden: Wie wird man Diplomat*in? Welche Eigenschaften braucht es? Wie verändert sich ein Ministerium, wenn es eine neue Ministerin gibt? Wie sind die Kommunikationswege in einem so großen Ministerium? All diese Fragen wurden der Gruppe vollumfänglich und diplomatisch beantwortet.
Nächster Programmpunkt war ein Plenumsbesuch. Die Teilnehmenden konnten somit von der Besuchertribüne des Bundestags aus einer laufenden Debatte zuhören und die Abläufe sowie Dynamiken im Parlament beobachten. Anschließend ging es mit dem Aufzug auf die Kuppel des Reichstags und es wurde die Aussicht in der Abendsonne genossen.
Der zweite Tag startete mit einer Stadtrundfahrt und einem längerem Aufenthalt beim Checkpoint Charlie. Zweiter Stopp war die Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße. Hier sind Teile der Mauer erhalten und ein Teil des Grenzstreifens dargestellt. Ebenso eindrucksvoll sind das Fenster des Gedenkens zur Erinnerung der an Mauer bei der Flucht verstorbenen Bürger*innen sowie die Kapelle der Versöhnung. Von einer Aussichtsplattform waren die Gedenkstätte sowie die Ausmaße der Mauer und des Grenzstreifens gut zu überblicken.
Darauf folgte das nächste Highlight der Fahrt: Das Gespräch mit Linda! Die Gruppe fand sich dafür in einem Seminarraum des Paul-Löbe-Haus ein. Hier konnte die Gruppe Linda frei fragen. Von der Arbeit im Parlament und in den Ausschüssen, Gesundheitsversorgung, Cannabislegalisierung bis hin zu Lobbyarbeit und Umweltthemen war alles mit dabei. Der Umfang der Antwortet verdeutlichte der Gruppe, wie groß das Engagement und die Arbeitsbereitschaft einer Abgeordneten sein kann. Von hier aus ging es dann wieder mit einem kleinen Snack-Paket zum Berliner Hauptbahnhof und in den Zug zurück in das geliebte Altona!
Inhaltlich vor Ort begleitet wurde die Fahrt von der Reiseleiterin des Besuchsdienst, die der Gruppe zu den zahlreichen Stationen und Wegen durch die Bundeshauptstadt beeindruckend viel geschichtliches und gesellschaftliches Wissen vermittelt hat. Im Vorfeld organisiert und begleitet wurde die Fahrt von meiner Wahlkreismitarbeiterin Julia (ganz links im Bild). In der Regel finden die Infofahrten mit meinem Büro drei Mal im Jahr statt und es wird regelmäßig dazu eingeladen – bei Interesse einfach die Augen offen halten.
„Lage ukrainischer Geflüchteter zeigt: Sprachmittlung im Gesundheitswesen dringend nötig“ ist das Thema meines Beitrags für den Observer Gesundheit:
Wer schon einmal am Berliner Hauptbahnhof die ankommenden Menschen aus der Ukraine beobachtet und Hilfe angeboten hat, weiß um die seelische Notlage, in der sie sich befinden: Ihr Land haben sie in der Regel überstürzt verlassen und den Mann, die Eltern oder andere Angehörige zurück lassen müssen. Auch Schwangere, Alte, Kinder und Kranke waren oftmals beschwerliche Tage unterwegs.
Nun sind sie von einem Tag auf den anderen in einer fremden Umgebung mit einer Bürokratie konfrontiert, die auch in Deutschland aufgewachsene Menschen häufig überfordert. Hinzu kommt die Sprachbarriere. Die wenigsten der Geflüchteten sprechen oder verstehen Deutsch, obwohl Deutschland von der Ukraine geografisch nicht weit weg ist.
Kernanliegen: Sprachmittlung als regelhafte Leistung
Vieles im Erstkontakt wurde in den ersten Wochen nach Kriegsbeginn zum Glück unbürokratisch und sehr engagiert von ehrenamtlichen Helferinnen aufgefangen. Menschen mit rudimentärsten Russisch- oder Ukrainisch-Kenntnissen gingen an Bahnhöfe oder zu Registrierungsstellen, um ein bisschen Übersetzung und Orientierung anzubieten. Diese enorme Solidarität beeindruckt mich von Anfang an.
Sie spornt mich zudem an, auf politischer Ebene eines meiner Kernanliegen voran zu bringen: Wie auch im Ampel-Koalitionsvertrag vereinbart, möchte ich Sprachmittlung bei notwendigen medizinischen Behandlungen zum Bestandteil des SGB V als regelhafte Leistung der Krankenkassen machen. Es ist ein schon lange überfälliger politischer Schritt, der jetzt im Zuge der Flüchtlingsaufnahme noch einmal ganz besondere Dringlichkeit bekommen hat. Der Bedarf war allerdings auch vorher bereits seit Langem gegeben.
Sprachmittlung ermöglicht den gleichberechtigteren Zugang zu Gesundheitsleistungen; das bekräftigt auch der gemeinsame Beschluss der Regierungschefinnen und Chefs sowie des Bundekanzlers von Ende März. Ab Juni dieses Jahres bekommen registrierte, hilfebedürftige Ukrainerinnen und Ukrainer Grundsicherung und sind dadurch automatisch in die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung einbezogen. Zusätzlich zu dringend notwendigen Behandlungen werden deutlich mehr Leistungen finanziert für Menschen, die weder über Einkünfte noch Vermögen verfügen. Dies ist besonders wichtig, damit beispielsweise Krebspatientinnen und -patienten, an Tuberkulose, Hepatitis, HIV Erkrankte oder auch Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen einen niedrigschwelligen und regelmäßigen Zugang zu kostenintensiveren Medikamenten und Therapien bekommen. Denn unter den Geflüchteten aus der Ukraine sind, im Vergleich zu den Menschen, die in der Vergangenheit als Geflüchtete nach Deutschland kamen, deutlich mehr Personen, die solche Krankheitsbilder und damit einen kontinuierlichen Behandlungsbedarf mitbringen.
Der Bundestag hat mit Stimmen der Ampel-Koalition über den Bund-Länder-Beschluss hinaus im April beschlossen, Opfern von Repression, Folter und Vergewaltigung möglichst schnell und unkompliziert medizinische und psychologische Hilfe zu gewähren. Damit sie diese auch sicher bekommen, ist umgehend die Kostenübernahme für Sprachmittlung als Teil der Gesundheitsversorgung gesetzlich zu regeln.
Neben den Ukrainerinnen und Ukrainern brauchen auch andere Patient*innen, die nicht Deutsch als Muttersprache haben, schon lange niedrigschwelligere Zugänge zum Gesundheitssystem. Bislang haben sie alle das Problem der nicht regelhaften Kostenübernahme für Sprachmittlungs-Dienste. Das verhindert häufig, dass sie überhaupt an der richtigen Stellen im Gesundheitswesen andocken können. Eine Anamnese, Diagnose und adäquate Behandlung medizinischer oder psychologischer Art zu bekommen, wird dadurch erschwert.
Bislang wird die Kommunikationsbarriere oftmals durch Kinder oder andere Angehörige ausgeglichen. So müssen Kinder etwa im Gespräch mit dem Arzt oder der Ärztin ihre eigene schwere Erkrankung an die fremdsprachigen Eltern herantragen, wenn sie Deutsch sprechen, aber die Eltern nicht. Genauso häufig nehmen Menschen mit Sprachbarrieren auch andere Angehörige mit zum Arzt, die keine medizinischen Kenntnisse haben und überdies auch nicht unbefangen sein können. Gerade auch das Prinzip der Schweigepflicht und des persönlichen Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt oder Ärztin und Patientin und Patienten ist dadurch immer wieder gefährdet. Zudem werden ungelernte Übersetzende in die Rolle einer professionellen Sprachmittlung versetzt. Das möchte ich ändern!
Die Details dafür sind allerdings nun noch in der Koalition auszugestalten: Etwa die Fragen, wie Sprachmittlerinnen und Sprachmittler ausgebildet sein müssen und was ihren Job vom Dolmetschen unterscheidet. Darüber hinaus muss eine dem dann entsprechenden Berufsbild angemessene einheitliche Entlohnung festgelegt werden. Sie muss gute Standards garantieren und den Job so attraktiv machen, dass er auch längerfristig ausgeübt wird.
Ausdifferenzieren müssen wir, die Koalitionspartnerinnen und -partner, zudem, was unter einer „notwendigen“ (siehe Koalitionsvereinbarung) medizinischen Behandlung gefasst werden soll. Sind das grundsätzlich Behandlungen bei allen Fachärztegruppen? Oder bei welchen weiteren Gesundheitsdienstleistern sollen Menschen Sprachmittlung als gesetzliche Leistung in Anspruch nehmen können? Gehören dazu zum Beispiel Hebammen, Optikerinnen und Optiker, Patientinnenberatungen, Physiotherapeutinnen und -therapeuten sowie Suchtberatung?
Gerecht wäre aus meiner Sicht, wenn es keine zeitliche Befristung in Bezug auf den Aufenthalt in Deutschland bei der Formulierung des Anspruchs gäbe. Denn wir wissen zum Beispiel, dass in Hamburg etwa ein Drittel der Migrantinnen und Migranten auch nach zehn Jahren noch nicht so gut Deutsch sprechen können, dass sie komplexe medizinische und behandlungstechnische Sachverhalte verstehen können. Mit dieser Realität müssen wir umgehen.
Flächendeckendes Angebot erforderlich
Wir müssen uns zudem überlegen, wie es gelingen kann, ein gutes Sprachmittlungsangebot mit unterschiedlichsten Sprachen deutschlandweit flächendeckend zu gewährleisten. Ob es dazu einen einzelnen Pool in zentraler Trägerschaft oder viele einzelne regionale braucht und wie bereits gewachsene Strukturen eingebunden werden können, wird uns im Gesundheitsausschuss noch beschäftigen.
Digitalen Angeboten kommt dabei eine ganz besondere Rolle zu: Durch Apps und Videokonferenztools kann ein bundesweites Netzwerk zur Sprachmittlung geschaffen werden, um regionale Lücken – die es überall geben wird – zu schließen. Denn nur so kann eine seltene Sprache oder ein kaum verbreiteter Dialekt ortsungebunden gedolmetscht werden. Hier gibt es bereits gute Beispiele aus der Praxis der Impfaufklärung!
Für mehr Gerechtigkeit in der Gesundheitsversorgung möchte ich den Menschen eine Stimme verleihen, die bislang hohe Hürden nehmen müssen, damit sie ihr Patientinnen-Recht auf Behandlung wahrnehmen können. Die Sprachmittlung sehe ich hier als zentralen Aspekt. Wenn wir es zeitnah schaffen, die Vereinbarung der Koalitionspartnerinnen und -partner so mit Leben zu füllen, dass sie dauerhaft trägt, wäre das ein riesiger Erfolg zur Schaffung besserer Zugänge zum Gesundheitswesen. Es würde bedeuten, dass der Mensch endlich ins Zentrum unseres gesundheitspolitischen Handelns rückt. Darüber hinaus ist Sprachmittlung ein entscheidender Faktor für gelingende Integration und Gleichbehandlung, damit zugewanderte Menschen eine konkrete Verbesserung ihrer Lebenssituation spüren. Packen wir es an!
Aktuell erleben wir, wie Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer wegen des russischen Angriffskriegs ihr Land verlassen müssen. Aufgrund ihrer Fluchterfahrung brauchen sie besondere medizinische und psychologische Versorgung. Dies gilt während der Flucht und ist besonders nach ihrer Ankunft in Deutschland sehr wichtig. Ich freue mich deshalb sehr, dass der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder sich am 7. April 2022 auf eine gemeinsame Unterstützung der Geflüchteten geeinigt haben.
So erhalten die registrierten Ukrainerinnen und Ukrainer ab Juni 2022 Zugang zu Leistungen der Grundsicherung und dadurch Anspruch auf Gesundheitsversorgung wie Bürgerinnen und Bürger, die gesetzlich krankenversichert sind. Zusätzlich zu dringend notwendigen Behandlungen werden deutlich mehr Leistungen finanziert. Dies ist besonders wichtig, damit Menschen beispielsweise mit chronischen Erkrankungen, wie Hepatitis und HIV sowie Abhängigkeitserkrankungen, einen niedrigschwelligen Zugang zu kostenintensiveren Medikamenten und Therapien bekommen.
Ein lange überfälliger politischer Schritt nimmt endlich Fahrt auf: Der Deutsche Bundestag hat mit dem gemeinsamen Antrag der Koalition zur Ukraine nun beschlossen, Opfern von Repression, Folter und Vergewaltigung medizinische und psychologische Hilfe zu gewähren. Damit sie diese auch sicher bekommen, umgehend die Kostenübernahme für Sprachmittlung als Teil der Gesundheitsversorgung gesetzlich zu regeln. Packen wir’s an!
Aufgrund steigender Energiepreise haben immer mehr Menschen Probleme, ihre Rechnungen für Gas, Strom und Wasser zu bezahlen. Um Versorgungssperren zu verhindern, hat sich in Hamburg 2018 der Runde Tisch zur Vermeidung von Strom-, Gas- und Wassersperrungen gegründet. Ich habe mit Mareike Engels, sozialpolitische Sprecherin der Hamburger Grünen Fraktion in der Bürgerschaft, über diese Initiative für mehr Verbraucher*innenschutz gesprochen:
Linda:Was ist der „Runde Tisch zur Vermeidung von Strom-, Gas- und Wassersperrungen“?
Mareike: Der Runde Tisch ist 2018 von Grünen und SPD in der Bürgerschaft ins Leben gerufen worden, weil immer mehr Menschen von Sperrungen ihrer Gas-, Strom und Wasseranschlüsse betroffen waren. Der Zugang zu Energie ist Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge, Wasser ist ein Menschenrecht. Sperrungen belasten die Betroffenen sehr schwer und können weitreichende Konsequenzen bis hin zum Wohnungsverlust haben. Am Runden Tisch haben sich unter Federführung der Umweltbehörde die Grundversorger sowie Träger von Sozialleistungen, Sozialverbände und die Schuldner*innenberatung und die Verbraucher*innenzentrale versammelt, um abgestimmte Verfahren zur Abwendung von Energiesperren und präventive Maßnahmen zur Verhinderung von Energiearmut zu entwickeln. Der Erfolg ist bisher, dass 2021 teils erheblich weniger Sperrungen durchgeführt wurden als 2019. Bei Strom betrug der Rückgang ca. 15%, bei Gas 55% und bei Wasser sogar über 99%. Allerdings ist das eine Momentaufnahme und aktuell ist zu befürchten, dass die Preisexplosion bei den fossilen Energieträgern Strom und Gas wieder zu mehr Sperrungen führt.
Linda: Wie sehen die Lösungen zur Vermeidung von Versorgungssperrungen aus?
Mareike: Gute Erfolge wurden bisher damit erreicht, die Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten zu intensivieren und zu klären, ob bei Schuldner*innen z.B. Sozialleistungsansprüche vorliegen und die Energieschulden übernommen werden können. So können z.B. Jobcenter oder Schuldner*innenberatungsstellen bei den Versorgern die Vorbereitung der Sperrung für vier Wochen anhalten, um solche Fragen zu klären und eine Sperrung abzuwenden. Bestehen Sozialleistungsansprüche, dann hilft es oft schon, wenn die Ämter die Strom- und Gasrechnungen direkt an die Versorger überweisen.
Mareike Engels ist Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft aus Altona und dort Sprecherin für Soziales, Inklusion, Frauen und Gleichstellung
Problematisch sind aber Fälle von Haushalten, die zwar wenig verdienen, aber keine Ansprüche auf Sozialleistungen haben. Einige können ihre Rechnungen trotz aller Anstrengungen nicht mehr bezahlen. Das wird mit den großen Preissteigerungen trotzt der Entlastungspakete der Bundesregierung mehr Haushalte mit kleinen Einkommen treffen. Hier brauchen wir von den Versorgern ein Entgegenkommen. Es muss möglich sein, diesen Menschen über Härtefallregelungen zu helfen. Das ist eine schwierige Materie, denn es gibt in solchen Fällen bisher keine gesetzliche Handhabe gegenüber Vattenfall oder EON. Dass das trotzdem möglich ist, zeigt Hamburg Wasser. Wir setzen uns dafür ein, dass am Runden Tisch gemeinsam mit den Grundversorgern eine Lösung für Härtefälle gefunden wird.
Linda: Hältst Du diesen Ansatz auch auf Bundesebene für sinnvoll?
Mareike: Sicherlich wäre es gut, wenn solche Härtefallregelungen Teil eines nationalen Aktionsplans gegen Energiearmut sein würden. Die Zusammenarbeit zwischen Versorgern und den Sozialleistungsträgern und den sozialen Hilfseinrichtungen sollte überall ausgebaut werden. Es gibt viele Leistungsberechtigte, die ihre Ansprüche nicht kennen oder aus Scham ihre Ansprüche nicht geltend machen. Zudem müssen wir im Bund das Problem lösen, dass die Stromkosten Teil des Regelsatzes der Grundsicherung sind. Die dafür angesetzte Pauschale reicht nicht aus. Ich plädiere dafür, die Stromkosten ebenso wie die Kosten für Miete und Heizung im angemessenen Umfang voll zu übernehmen. Zudem müssen wir die Menschen dabei unterstützen, ihre eigenen Energiesparpotentiale auch zu realisieren. In Hamburg sind der Stromspar-Check der Caritas oder die Beratungsangebote der Verbraucher*innenzentrale sehr hilfreich. Darüber hinaus wären längere gesetzlich garantierte Vorlaufzeiten für Sperrankündigungen hilfreich.
Linda: Welchen Herausforderungen begegnet der Runde Tisch im Zuge der aktuellen Preissteigerungen?
Mareike: Mit unserem Bürgerschaftsbeschluss setzen wir uns dafür ein, dass der Runde Tisch aufgrund der gesellschaftlichen Herausforderung durch die Preisentwicklung seine Zusammenarbeit intensiviert. Die absehbaren Probleme werden aber nicht allein durch bessere Prävention und gute Prozesse zwischen den Beteiligten zu lösen sein. Die Versorger, die lange und gut an den fossilen Energieträgern verdient haben, müssen nun auch einen Beitrag dazu leisten, die Folgen der übermäßigen Abhängigkeit von fossilen Energieträgern mit zu tragen. Das heißt, wir brauchen wirksame Mechanismen, die Menschen, die ihre Strom- und Gasrechnungen unverschuldet nicht mehr zahlen können vor Anschlusssperrungen schützt. Härtefallregelungen sind dafür ein gangbarer Weg, solange es anderen Regelungen wie z.B. generelle Verbote von Energiesperren o.ä. nicht gibt.